Guten Appetit!

Otto Jägersberg – „À la carte“

von Frank Becker

Guten Appetit!
 
Otto Jägersberg zum 80.
 
Damit ein Buch ein gutes Buch ist,
muß schon auch Quatsch drinstehen.
Ein gutes Buch hat Fehler,
die den Leser erfreun. (12)
 
Der Titel der neuen Sammlung mit Kurzprosa Otto Jägersbergs ist Programm, könnte auch als Gebrauchsanweisung für dieses abermals hinreißende Buch des westfälischen Flaneurs verstanden werden: À la carte. Wählen Sie selbst, wo Sie mit dem Lesen beginnen möchten, stechen Sie irgendwo ins Buch oder lesen Sie es systematisch von Anfang bis Ende – wobei: Sie können ebenso gut das Pferd, pardon Buch, von hinten aufzäumen, der Lesegenuß, die Erkenntnisfreude bleiben sich gleich.

      Der Diogenes Verlag darf sich selbst mit der Ausgabe zu seinem 70. Geburtstag schmücken, dem Autor legt man es, schön gemacht wie all die zuvor herausgegebenen Bände, zugleich zu dessen 80. Geburtstag in die Hände. Glücklich zu nennen der Schriftsteller, der auf ein solch feines Gesamtwerk blicken kann, zufrieden seine Leser, denen er damit fortgesetzt so viel Freude bereitet. Sprachlich wie sachlich unverschnörkelt, klarsichtig und reminiszenzenreich sind die Wirklichkeiten ins Licht rückenden 191 Miniaturen, darunter wenige bemerkenswerte Fremdzitate eingestreut, die im Ohrensessel, im Bus und im Wartezimmer unmittelbar in die Erinnerung Jägersbergs entführen, die vielleicht grade besonders nervende Welt um den Leser augenblicklich verschwinden lassen.
 
Höllenlärm auf der Straße, Gebuddel auf dem Gehweg,
sie verlegen Kabel für schnelleres Internet.
Sofort gehe ich noch langsamer als eh schon. (3)
 
     Es sind Gedankenflüge, Reiseerinnerungen, Ortsbeschreibungen, Momentaufnahmen, die mit unerhörter Präzision und Leichtigkeit eine wie die andere bestechend akkurat benennen, was dem Autor durch den Kopf und die Feder ging und aus seinem Zettelkasten in die Form seiner kurzen Prosa floß. Es sind nicht selten kulinarische Bilder, die man von Fall zu Fall sogar zu erschnuppern glaubt, so bilderreich ist seine Sprache (16, 22, 30, 50, 144, 177, 184, nur als Beispiele herausgepickt). Womit wir denn auch gleich wieder beim Anfang sind, dem Titel „À la carte“. Guten Appetit! Von den Musenblättern zum Genuß empfohlen.
 
Hillebrand erwägt eine Reise nach Bologna,
dann eine nach Rom, dann ist er zufrieden, wo er ist,
und hat noch zwei Reisen gespart. (157)
 
Otto Jägersberg – „À la carte“
Kurze Prosa
© 2022 Diogenes Verlag AG, 223 Seiten, Ganzleinen, Schutzumschlag, Lesebändchen - ISBN: 978-3-257-07221-1
24,- €
 
Weitere Informationen: www.diogenes.ch