Der Mond läuft über hohe Eichen…

„Verklärte Nacht“ mit dem Neuenheimer Kammerorchester in Heidelberg und Worms

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper


„..der Mond läuft mit, sie schaun hinein.
Der Mond läuft über hohe Eichen…“
 
„Verklärte Nacht“ in Heidelberg und Worms
 
Das Neuenheimer Kammerorchester, gegründet 2007, wird seit 2008 von Matthias Metzger geleitet. Jetzt war dieses Orchester in Heidelberg (21. und 23.10.2022 Jakobuskirche und Augustinum), und in Worms (Ev. Bergkirche 22.10.2022) mit einem exzeptionellen Programm zu hören. Ricercar á 6 aus dem Musikalischen Opfer BWV 1079 von Johann Sebastian Bach (1685-1750), 10 Walzer für Streichorchester und die „Verklärte Nacht“ op. 4 von Arnold Schönberg (1874-1951).
 
Zu Beginn gab es aus dem „Musikalischen Opfer“ das Ricercare á 6 (in der Fassung für Streichsextett von Gustav Lenzewski). Ursprünglich eine freie, improvisatorische Tonfolge zur Überprüfung der Stimmung eines Instruments (belegt seit Anfang des 16. Jahrhunderts), gilt das Bachsche Ricercar aus seinem Spätwerk als der absolute Höhepunkt dieser musikalischen Gattung. Das wahrhaft königliche Thema hatte Friedrich II. J.S. Bach bei dessen Besuch 1847 in Potsdam vorgegeben, der daraus stante pede eine dreistimmige Fuge improvisiert und damit alle Anwesenden in Erstaunen versetzt hatte. Als der König dann sogleich das Ganze 6stimmig hören wollte, mußte sogar Bach passen, hat aber später seine komplizierten, schriftlich fixierten Improvisationen über dieses Thema dem König als „Musikalisches Opfer“ gewidmet.
Anfänglich tragen die Bratschen das ernste wie komplexe Thema vor, welches in der Folge durch alle Stimmen hindurch kanonisch und als Fuge bearbeitet, umgedreht wird, sich mischt mit weiteren Motiven und zum Schluß in versöhnlichem Dur-Akkord endet. Sauber in der Intonation, sorgfältig dynamisch strukturiert, historisch korrekt mit sparsamstem Vibrato aber intensiver Tongebung, und mit stets kräftigem, etwas massivem Baß spielte das Kammerorchester hochkonzentriert diese Auftragsarbeit, das schwierige Spätwerk des alten Bach, welches eine gewisse emotionale Kühle aber vor allem Begeisterung beim tief beeindrucktem, zahlreich erschienenen Publikum hinterließ.
 
Arnold Schönberg, der beruflich als Banker begonnen hatte, komponierte als 23jähriger 1897 in Wien natürlich Walzer. Da war von seiner Atonalität ab ca. 1908 und seiner Zwölftonmusik (ab 1921), mit der er Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts geschrieben hat wie kein anderer, noch keine Rede, auch nicht von dem antisemitischen Druck, der im damaligen Wien auf ihm lastete. Immerhin konvertierte er zu dieser Zeit vom Judentum zum Protestantismus, allerdings 1933 aus Gründen des Protestes und der Solidarität zurück zum Judentum! Diese Konflikte sind den 10 Walzern für Streichorchester, die selten aufgeführt werden, nicht anzumerken.
Sozusagen zwischen der Leichtigkeit Mendelssohns und nach der deutschen Schwere von Johannes Brahms handelt es sich um spätromantische, schwungvolle Wiener Klänge, unter dem Einfluß seines Kompositionslehrers und Schwagers Alexander von Zemlinsky harmonisch aber durchaus verfremdet und in das 20. Jahrhundert weisend. Unterbrochen von retardierender Flageolettoktave des Cellos, einem flotten Dreier der Geigen, rauschte später traumhafte, geisterhaft flinke Sommernachtsstimmung vorbei. Das Publikum geriet in Stimmung und applaudierte stürmisch.
 
Matthias Metzger hat Violine bei Ulf Hoelscher studiert und Dirigentenkurse belegt bei Nikolaus Harnoncourt und Reinhard Goebel. Als Konzertmeister der Heidelberger Sinfoniker hat er international preisgekrönte CDs eingespielt und sich als Kammermusiker einen Namen gemacht.
Ihm und seiner Professionalität verdankt das Orchester, daß das auch das höchst anspruchsvolle und technisch schwere Streichsextett Schönbergs „Verklärte Nacht“ (Fassung für Streichorchester 1943) einstudiert und in das Programm aufgenommen werden konnte. Schönberg, der seine Ideen und Gefühle musikalisch darstellen wollte, hat das Gedicht von Richard Dehmel vertont, hat der Schönheit der Nacht, freier Sexualität, belastendem Tabubruch und der Großzügigkeit in der Liebe musikalisch nachgespürt. Das ist kammermusikalische Programmmusik, wie sie bis dahin unbekannt war. Wer Schönberg nur als Zwölftonmusiker zur Kenntnis genommen hat, war erstaunt über die spätromantische Dichte emotionalen Seelenlebens und ergriffen von den wechselnden Gefühlsstimmungen dieser Musik. Wenn sich aus der Tiefe leisen, nächtlichen Tremolonebels ein großes Motiv herausschält, welches dann im Solo der Konzertmeisterin wieder verdämmert, entstehen Bilder vor dem inneren Auge. Wirklich, wer je nach Wien kommt, sollte sich im Schönberg-Center das weniger bekannte malerische Werk des Komponisten zu Gemüte führen. Schönberg hat seine Gedanken und sein Seelenleben nicht nur musikalisch, sondern auch malerisch bewahren wollen. „Peindre l âme (Die Seele malen)“ hieß seine Ausstellung vor Jahren in Paris. Dank des klaren und inspirierenden Dirigats von Matthias Metzger und seiner bewegten Körpersprache gelang eine beeindruckende wie bewegende Interpretation dieser schweren Gefühlswelt. Große Soli, schwelgende Cellokantilenen, glutvolle Bratschenklänge und in höchsten Höhen, jenseits aller Hilfslinien der Notation virtuos seufzende Violinen trugen das Ihre zum glanzvollen Gesamteindruck dieses Konzerts bei, welches während zweier Probenwochenenden und einer Generalprobe erarbeitet worden war. Die lange Stille am Ende und der dann ausbrechende minutenlange riesige Applaus, belohnten die glücklichen Musiker , führten endlich noch zu einer Zugabe (8. Walzer) und zu sehr gut gefüllten Spendenkörben beim Ausgang. Eintrittskarten waren nicht verkauft worden.
 
Neuenheimer Kammerorchester Leitung: Matthias Metzger
Violine 1: Jasmin Swartmann (KM), Magnus Bastian, Takako Furukawa, Peter Heeg, Thomas Lemberger, Linara Samatova, Friederike Schneider - Violine 2: Kai Günther, Verena Addelsberger, Caroline Kiss, Andrea Kunz, Anne Meinel, Isabelle Nikolajewicz - Viola: Holger Schütte, Sonja de Bruyn, Carl-Julian Pardall, Esther Schierholt - Violoncello: Terese Zink, Susanne Dressler, Cornelius Honold, Martin Pehnt. - Kontrabaß: Jonathan Österling, Matthias Sohn