Schöne Schriften und dunkle Geheimnisse

Peter Butschkow – Wo ist Emilia?“

von Frank Becker

Schöne Schriften
und dunkle Geheimnisse
 
… und nebenbei ein getreues Zeitbild der 70er Jahre
 
Mit Peter Butschkow ins Berlin Mitte der Siebziger Jahre zurückstürzen, heißt zum einen ein fundiertes Zeit- und Gesellschaftsbild vermittelt zu bekommen, zum anderen allerbeste Unterhaltung. Wie in seinem Erstling „Rebecca, Roswitha und die wilden Siebziger“ so auch jetzt in Butschkows zweitem Roman „Wo ist Emilia?“. Gustav Vossberg, kurz „Gus“, ist einer der zahlreichen jungen Männer aus Westdeutschland, die nach West-Berlin, auf die Insel der Seligen gezogen sind um dort zu studieren, vor allem aber, um dem Wehrdienst in der Bundesrepublik zu entgehen. Er hat an der Kunsthochschule in Berlin-Charlottenburg das Studium in Grafik/Design u.a. bei Prof. Brand, Schöpfer der berühmten Brand-Antiqua, im Fachbereich Schrift aufgenommen. Als er sich eben anschickt, ein Praktikum in einer traditionellen Druckerei zu beginnen – wo er sogleich als möglicher künftiger Lehrling umworben wird – bekommen er und sein Kommilitone Moon das lukrative Angebot, im Auftrag Brands in den Semesterferien auf der Atlantik-Insel La Hermosa einen mysteriösen Mann namens Magno Malente aufzutreiben, der Brand ein etwas merkwürdiges Geschäft unterbreitet hat: Kalligraphien einer genialen Schriftkünstlerin zu erwerben, die einst bei Brand studiert und damals wohl auch ein Techtelmechtel mit ihm hatte (eines von vielen des eitlen Kunstpädagogen). Emilia von Lerchenberg ist damals, obwohl sie die Beste war, ohne Abschluß von der Hochschule verschwunden und seither verschollenen.
 
Gus und Moon, der grade ein Praktikum beim SFB (Sender Freies Berlin) absolviert, nehmen den Auftrag an, denn wann bekommt man noch mal die Gelegenheit, kostenlos zu zweit plus Spesen für eine Woche auf die besonders bei deutschen Spät-Hippies beliebte Aussteiger-Insel zu kommen.
Zuvor aber absolvieren sie ihre Praktika und beenden das Semester, was Peter Butschkow Gelegenheit zu eloquenten bis urkomischen Exkursen in Schriftsetzerei, Kalligraphie, Anzeigengestaltung und Graphologie gibt. Wir lernen ziemlich typische Gespräche einer 70er-WG kennen, erleben eine Autobahn-Fahrt, die zu Recht zu einer Hymne auf den unvergessenen R 4 wird und später auf der Insel das Geplapper und überdrehte Lebensgefühl der bunten, schrägen Szene der ziemlich verpeilten aber braven deutschen Aussteiger nebst einem weiteren Exkurs über das Wesen der Porträt-Zeichnung. Das alles ist sprachlich so genußreich, humorvoll und schließlich spannend, daß man das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen mag. Denn Butschkow flicht als spannendes Krimi-Element ein dunkles Geheimnis in die scheinbar leichtfüßige Geschichte, das, Sie ahnen es, mit Emilia zu tun hat. Wo ist sie nur? Ich werde den Teufel tun, Ihnen hier mehr zu verraten.
 
Je näher Gus und Moon diesem Mann kommen, desto fragwürdiger erscheint er ihnen. Sie ahnen nicht, welche schockierende Antwort sich ihnen auf die Frage „Wo ist Emilia?“ offenbaren wird, schreibt der Verlag im Klappentext, nur irrt er hier, denn weder Gus und Moon noch dem neugierigen Leser wird sich die Frage beantworten. Es ist wohl so, daß Emilia da ist, wo schließlich auch Magno Malente ist, und zwei (genaugenommen sogar drei) Verbrechen ungesühnt bleiben – aber das wissen bzw. ahnen letztlich nur der Autor, die Leser und Professor Brand. Schuld ja, Sühne nein.
Nebenbei: Der Klappentext lobt explizit den Klassiker Antiqua – für den Satz des Buches verwendete der Verlag jedoch die edle Garamond. Ein R 4 hatte Schiebefenster, keine zum runterkurbeln und ein salopper Start mit drei Personen plus Gepäck war ein Ding der Unmöglichkeit. Aber das nur augenzwinkernd am Rande.

„Wo ist Emilia?“ ist wie der schon erwähnte Erstling Peter Butschkows „Rebecca, Roswitha und die wilden Siebziger“ prall voller echtem Leben und der unbeschwerten Lebensfreude der Jugend der 70er sowie auf all seinen der Wirklichkeit akkurat nachgezeichneten Schauplätzen das pure Lesevergnügen. Von den Musenblättern sehr empfohlen.
 
Peter Butschkow – Wo ist Emilia?“
Roman
© 2022 Konkursbuch Verlag, 302 Seiten, Klappenbroschur - ISBN-13: 9783887694999
14,- €
 
Weitere Informationen: www.konkursbuch.de