Abreißen! (aber sofort!)

Turit Fröbe - Der Abrisskalender 2023

von Ludwig Lenis


Abreißen!
(aber sofort!)
 
Ein Almanach schrecklicher Bausünden
 
„Eine gute Bausünde hat einen sehr starken Wiedererkennungswert,
hat Mut, greift daneben und sprengt den Kontext.“
(Turit Fröbe in ZDF-Aspekte)
 
Man möchte es eigentlich nicht glauben, daß unser Land, was die Gestaltung von Gebäuden  angeht, derart voller geschmacklicher Tiefflieger unter den Bauherren ist, daß es offenbar nicht schwerfällt, erneut für ein ganzes Jahr einen Tagesabreißkalender mit Beispielen architektonischer Fehlgestaltung zusammenzustellen. Die Architektur-Schriftstellerin Turit Fröbe, der wir ja schon Verschiedenes aus diesem Fachgebiet zu verdanken haben, hat es mit viel Vergnügen und kaum zu übersehender Häme wieder getan – der „Abrißkalender 2023“ legt Zeugnis davon ab, wie fehl Bauprojekte gehen können, wenn die Beteiligten schlicht und einfach keinen Geschmack haben.

Womit wir bei dem zweiten Teil der Verantwortung für solche gräßlichen Bausünden sind, den Architekten. Das sind, sollte man annehmen, studierte Wissenschaftler, Koryphäen, wenn nicht gar Kapazitäten auf ihrem Gebiet, Menschen, die neben technischer Perfektion auch Geschmack beweisen müss(t)en, um ihre Examina erfolgreich zu bestehen. Doch mit dieser Annahme liegt man angesichts der kuriosen bis gräßlichen 365 Beispiele, die Turit Fröbe bei ihren Streifzügen mit der Kamera durchs Land gesammelt hat, wohl gänzlich schief. Da können dem nicht vorgewarnten Betrachter schier die Augen aus dem Kopf quellen, sieht er die real existierenden Häßlichkeiten von Flensburg bis Rosenheim, von Aachen bis Chemnitz.
Denn das Phänomen architektonischer Fehlschläge macht vor keinen Landstrich, keiner Stadt und keinem Zweckbau oder Eigenheim halt. Hier wird ohne Rücksicht auf Verluste oder den guten Geschmack lustig drauflos gestaltet, als gäbe es den Begriff der Ästhetik, der Lehre von der Schönheit, von Gesetzmäßigkeiten und Harmonie nicht.
 

„Individualisierte Reihenhäuser, die um jeden Preis aus ebendieser Reihe tanzen wollen, Stadtrand-Villen mit Instant-Ambiente, abenteuerliche Motto- und Steingärten, die von fremden Welten und Kulturen künden, alles andere als einladende Einkaufszentren und überaus kontrastreiche Ladengestaltungen in den Innenstädten – Bausünden, soweit das Auge reicht …“, verspricht der Klappentext zu diesem höchst unterhaltsamen Kalender, der täglich einen Abriß fordert. Tun Sie mit, schwingen Sie die virtuelle Abrißbirne! Da kann man wirklich nichts falsch machen, ob es groteske Säulenvorbauten in Michendorf und Potsdam oder knallfarbige Fassaden allenthalben, Platten in Pforzheim, augenschmerzende Zaun-Kreationen, scheußliche Weihnachtsmann-Dekorationen im steinernen Vorgarten in Magdeburg (überhaupt: Steinvorgärten ohne Zahl) oder bunte Plastik-Pseudoblumen vor langweiliger Mauer in Regen trifft. Abreißen … aber sofort! Vorschlaghämmer gibt es in Ihrem örtlichen Baumarkt.
 

Dr. Turit Fröbe ist Architekturhistorikerin, Urbanistin und passionierte Baukulturvermittlerin. Seit 2001 beschäftigt sie sich leidenschaftlich mit dem Thema Bausünden. Sie besitzt nicht nur ein umfangreiches Archiv, sondern auch einzigartige Expertise im Aufspüren von Architekturen, die aus der Reihe tanzen. Mit ihrem Bestseller ›Die Kunst der Bausünde‹ (2013) ist es ihr auf humorvolle Weise gelungen, eine Lanze für die Bausünde zu brechen, viele Menschen zum Umdenken zu bewegen und die vermeintlich häßliche Architektur zu rehabilitieren. Wobei Reha-Maßnahmen im Falle des Abrißkalenders allerdings fruchtlos erscheinen.

Turit Fröbe - Der Abrisskalender 2023
365 Bausünden zum Abreißen
© 2022 Dumont Buchverlag, 368 Seiten, 365 farbige Abbildungen, Abreißkalender zum Hängen und Aufstellen
ISBN 978-3-8321-6903-9
18,- €
 
Weitere Informationen: www.dumont-buchverlag.de