Madrid unter Drogen

Friedrich Schillers "Don Karlos" im Düsseldorfer Schauspielhaus

von Dirk Altenaer





Ganz Madrid steht unter Drogen -
Friedrich Schiller: Don Karlos

Premiere 2.10.2008 - Schauspielhaus Düsseldorf - Großes Haus
 

1984

Weiße Wände, am Portal verschiebbar, bilden den abgezirkelten Raum, den Michael Talke (Regie) und Hugo Gretler (Bühne) für den Ideenklassiker "Don Karlos" vorsehen. Anstalt, Gefängnis, KZ eines Überwachungsstaates? Dieser Raum läßt viele Möglichkeiten zu, nur die Originalschauplätze kommen einem nur selten in Sinn, sieht man einmal von dem locus amoenus dahingeworfener Orangen ab, in der die traurige Königin kauert. Am eindrucksvollsten wirkt diese unterkühlte Gummizellen-Assoziation noch, wenn auf die zugezogene Portalwand das Bild des Monarchen, in dessen Reich die Sonne ja bekanntlich nicht untergeht, projiziert wird, dann atmet das beklemmenden Psychohorror à la 1984 und kafkaeske Atmosphäre, "Big Brother is watching you". Das war's dann aber auch schon, das ständige Hin- und Herschieben der Wände nutzt sich ebenso schnell ab, wie das ständig überdrehte Gebaren der Protagonisten, die damit zu Seelenzuständen degradiert werden, ernst zu nehmende Menschen aus Fleisch und Blut sind das nicht, sondern seltsame papierne Figuren im Drogenrausch.

Hektik á la Feydeau

Die Hektik, die sich vor allem im kurzen zweiten Teil Bahn bricht, mag für eine Boulevardkomödie in Feydeauscher Manier geeignet sein, hier ist sie fehl am Platze. Ganz ohne Pathos wollte Talke seinen "Karlos" inszenieren und sich loslösen von der großen Freiheitstragödie, schön und gut, was dann noch übrig bleibt, ist eine uns heute nur noch befremdlich erscheinende Beziehungsklamotte, die durch mehr oder minder bedeutungsschwangere Figuren aus der Dreiecksgeschichte ein vermeintliches Staatstheater werden läßt.
Berühren uns wenigstens die Figuren? Wohl kaum: Karlos wird als seinen Träumen lebender überdrehter Schwärmer gezeichnet, wenn nicht gar überzeichnet. Dargestellt von Daniel Graf als smarter Yuppie, dessen Todestraum wir wohl erleben und der sich von seinem Übervater nicht zu lösen weiß. Philipp sollen wir wohl als familiäres Oberhaupt, dem die Beziehungen zu seinen Mitgliedern über den Kopf gewachsen sind, wahrnehmen. Kein Staatsmann also, vor dem die halbe Welt zitterte. Ein rasendes Menschlein, von sich und der Welt mißverstanden, Götz Schulte versucht diesem Psychopathen halbwegs Charakter einzuhauchen. Und der Freiheitskämpfer und Idealist Marquis Posa? Für Talke die verlogendste Figur, die ihn schon seit Schulzeiten verfolge. Er zeichnet sie als Realo, ein Joschka Fischer im Textgewand Schillers. Markus Scheumann ist da nicht zu beneiden, zumal der Regisseur ihn eine näselnde, immer ins Lachen, fast ins Lächerliche abdriftende Sprache kolportieren läßt, daß selbst Posas berühmtester Ausspruch "Geben Sie Gedankenfreiheit" fast im albernen Gekichere unterzugehen droht. Die Hofdamen Marquise von Mondekar (Friedrike Linke) und Prinzessin von Eboli (Cathleen Baumann) sind zu notgeilen Hofzicken degradiert.

Würdig nur Claudia Hübbecker

Einzig Claudia Hübbecker als Elisabeth darf noch die der Monarchin anstehende Würde darstellen und sprechen und kommt damit auch zur überzeugendsten Leistung an diesem Abend.
Die Zwiesprache zwischen Philipp und dem Großinquisitor gestrichen, stattdessen ein Sprechchor in Schleefscher Tradition, an den wohl auch die ständigen Wiederholungen einzelner Textpassagen oder -fragmente erinnern sollten.
Max Reinhardt hat für das literarische Kabarett "Schall und Rauch" 1901 eine hinreißende Parodie auf die Schillersche Ideentragödie geschrieben "Ganz Madrid steht unter Wasser" oder "Don Carlos auf der Schmiere". Eine urkomische Szene, die nichts anderes als unterhalten mochte, mit einem echten Lachfaktor, den man in Michael Talkes zähflüssigem, verkrampft unpathetischem Arrangement schmerzlichst vermißte.

Weitere Informationen unter: 
www.duesseldorfer-schauspielhaus.de