Kühlschrank

von Erwin Grosche

Foto © Tim Reckman / pixelio.de
Kühlschrank
 
Ich brauche jemanden, der meinen Kühlschrank abtaut“, flüsterte der Mann in der dunklen Gasse. „Ich habe gehört, sie machen so was.“ Ich schüttelte schnell den Kopf. „Laßt mich einen Rasen mähen, bei einem Auto die Reifen wechseln oder einen alten Birnbaum beschneiden“, sagte ich, „aber Kühlschrank abtauen, traue ich mir schon lange nicht mehr zu.“ Er schaute mich entgeistert an. „Ich habe Kinder“, fügte ich noch hinzu.

Es gibt immer Augenblicke im Leben eines Mannes, wo er seinen ersten Kühlschrank abtauen muß. Da wird der Kälteregler auf null gestellt und alles Licht erlischt und die Geräusche verstummen. Das Ende der Welt stelle ich mir genau so vor. Nach diesem Schlußstrich soll neues Leben erwachen. Natürlich ist man dabei auf sich allein gestellt. Die Kälte ist ein Bereich, der uns wie der Schatten, die Nacht und der Keller an den Tod erinnert. „Er riß das Eisfach auf. Welch schonungslose Verbitterung ihm entgegenschlug. Das war kühler als das Lächeln einer Zahnarzthelferin. So kalt ist nur der Tod. Ein leichter Nebel stieg von der Kühlpizza auf und der Todeshauch der erstarrten Bachforelle hüllte ihn ein. Die Türen von Kühlschrank und Eisfach standen auf und waren weit geöffnet. Wer hat da nicht Angst vor Vandalismus und Plünderungen? Aus welchem Jahrhundert wohl der schockstarr gefrorene Spinat stammte? Einmal entdeckte ich im tauenden Eis eine kleine Erbse und dachte, welche Schätze da wohl noch zu Tage kommen werden. Ich habe mal bei einer Nachbarin den Eisschrank abgetaut. Sie war gerade verliebt gewesen und wollte die Stimmung halten und nicht durch das Abtauen eines Eisschranks gefährden, zumal er in ihrem Keller stand. Ich betreute den Tauvorgang und ergraute in der Zeit wie ein Schneemann. Ich sah schließlich aus wie ein Fahrer vom Eismann-Lieferservice. Da mußte ich an meine dritte Ehefrau denken, die am Anfang so kühl gewesen war, dann aber später so weich wurde, daß sie den Anforderungen des Alltags nicht mehr gewachsen war.

Kommen sie, man muß sich mit dem Abtauen beeilen. Man muß damit fertig werden, bevor Milch und Joghurt schlecht werden und der Quark umkippt. Seinen ersten abgetauten Kühlschrank vergißt man nicht. Ich habe damals geweint und aus meinen Tränen Eiswürfel werden lassen. Es gibt nicht viele Handlungen im Alltag, wo man dem Sinn des Lebens so nah kommen darf.
 
© 2022 Erwin Grosche