Der Wein in Goethes Werk (3)

Ein önologischer Spaziergang

von Heinz Rölleke

Georg Mühlberg fec.
Der Wein in Goethes Werk (3)
 
Von Heinz Rölleke
 
Kommen wir bei unseren literarischen Betrachtungen über Goethes Verhältnis und über Goethes Bemerkungen zum Wein zu einem Ausschnitt aus einem Stück Weltliteratur: „Faust. Der Tragödie erster Teil“. Goethe greift eine alte Leipziger Sage auf, gemäß derer einst der Teufelsbündner Professor Faust auf einem Weinfaß aus Auerbachs Keller geritten sei.
 
Schon im „Urfaust“ bringt Mephisto nach dem Paktschluß den Faust in eben diesen berühmten Weinkeller, in eine weinselige und sich ziemlich rüde und unflätig gebärdende Gruppe von Studenten. Einer wird „Frosch“ gerufen; das ist ein Erstes Semester, der nächste „Brander“, ein Zweites Semester; der dritte heißt Siebel und ist nach studentischem Jargon ein „bemoostes Haupt“, während der Redende Name des Vierten „Altmayer“ (im „Urfaust noch deutlicher „Alten“) auf einen sogenannten „Alten Herrn“ deutet.
 
Faust und Mephisto kommen dazu, entzücken, verwirren und erschrecken die Saufkumpane durch ein Weinwunder, das ein wenig wie eine blasphemische Parodie des Evangeliums von der Hochzeit zu Kanaa anmutet; hier ist es allerdings eine Art Weinprobe mit verheerendem Ergebnis.
 
Während im „Urfaust“ der Faust als Zauberer agiert, übernimmt in „Faust I“ Mephisto diesen Part, und das ist auch angemessener. Da sind denn auch die einleitenden Worte des Faust weggefallen, der zunächst den von den Studenten so reichlich konsumierten Wein verkostet und urteilte: „Der Wein geht an“ – das heißt er ist „leidlich“ oder deutlicher: er ist ziemlich ungenießbar, wie immer in Leipzig. Er schiebt diese schlechte Qualität auf die süddeutschen Weinhändler, die er „die Schelmen aus ’m Reich“ nennt.
 
In der Tragödie erstem Teil spielt sich das Weinwunder wie folgt ab:
 
         Mephisto: Nun sagt, was wünschet Ihr zu schmecken?
         Ich stell es einem jeden frei.
         Altmayer: Aha, du fängst schon an, die Lippen abzulecken.
         Frosch: Gut, wenn ich wählen soll, so will ich Rheinwein haben,
         Das Vaterland verleiht die allerbesten Gaben.
[Im „Urfaust“ wollte Frosch noch spezifischer „roten Nierensteiner“ haben]
Mephisto zu Brander: Und Ihr?
          Ich will Champagner Wein,   
          Doch recht moussierend soll er sein
                                                       
[Innerhalb der historischen Fausthandlung, die in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts spielt, ein Anachronismus, denn Champagner-Getränke gibt es erst seit 1670]
 
Brander fährt, seine Vorliebe für französischen Champagner verteidigend, gegenüber dem vaterlandsliebenden Frosch fort:
        
Man kann nicht stets das Fremde meiden,
         Das Gute liegt uns oft so fern.
         Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden,
         Doch ihre Weine trinkt er gern.
                  
         [***Ganz identisch hat sich später Bismarck zu diesem Thema geäußert, während Kaiser Wilhelm II ausländischen Sekt mit deutschen Etiketten überkleben ließ]
        
Den schon etwas ältlichen Siebel verlangt es nach milderen, süßeren Sorten:
        
         Ich muß gestehn, den sauern mag ich nicht,
         Gebt mir ein Glas vom echten süßen!
         Mephisto: Euch soll sogleich Tokayer fließen.
 
Dagegen säuft der alte Herr Altenmayer alles, was ihm vor die Kehle kommt, denn auf Mephistos Frage „Mit welchem Weine kann ich dienen?“ antwortet er kurz und bündig: „Mit jedem! Nur nicht lang gefragt.“
 
Nun zieht Mephisto die Wachspfropfen aus den Löchern, die er in den Tisch gebohrt hatte, und jedem läuft der verlangte Wein ins Glas.
 
„Alle“ beginnen sogleich zu singen, zunächst ziemlich: „O schöner Brunnen, der uns fließt“, aber schon bald danach den entlarvenden Vers
        
         Uns ist ganz kannibalisch wohl,
         Als wie fünfhundert Säuen.
 
Auch dies eine den Sängern wohl kaum bewußte biblische Anspielung, denn nach dem Matthäus-Evangelium (8.28) läßt Jesus die Teufel der Besessenheit in eine große Herde von Säuen fahren, die sich prompt in einem See ersäufen. In Auerbachs Keller kommt es fast zu Schläger- und Messerstechereien – der Teufelswein, der sich zuletzt in Feuer verwandelt, bringt die an sich schon törichten Herren Studenten gänzlich um ihren Verstand
 
         So soll man also nicht mit der Gottesgabe umgehen, so sinn- und gedankenlos soll man sich nicht besaufen, sonst hat der Teufel das Völkchen gleich beim Kragen, wie Mephisto weiß. Auch nicht so wie die Herren im Land in „Faust II“, die sich auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung, der sie sozusagen das Mark aus den Knochen saugen, Tag und Nacht volltrinken:
 
           So schlürft unendliches Gesäufte
           Der edlen Herrn den letzten Tropfen aus.
 
Goethe und der Wein: ein wahrlich unausschöpfliches Thema. Wer dazu Ausführlicheres und Gründlicheres erfahren will, dem können zwei  Buchpublikationen empfohlen werden:
 
- Christoph Michel: Der Dichter und der Wein, Frankfurt/M: Insel 2000 (270 Seiten mit Illustrationen)
- Angela Maria Coretta Wendt: Essgeschichten und Es(s)kapaden im Werk Goethes. Ein literarisches Menu der Esser und Nichtesser. Königshausen & Neumann Verlag 2005.
 
Nachdem nun nach Goethe der „Worte genug gewechselt“ sind, möchte ich mit der Erinnerung an zwei Goethe-Gedichte schließen - ein allbekanntes Lied aus dem „Wilhelm Meister“ und ein weniger bekanntes Gedicht, das Gothe aus Italien an Frau von Stein gerichtet hat.
 
       Im ersteren zeigt sich das Verhältnis von Kunst und Wein in umgekehrter Version gegenüber dem gereimten Dankbrief an die Frankfurter Weinspender. Erschien dort die Kunst in den Versen Goethes als Gegengabe für den Wein, so wird in der Ballade „Der Sänger“ die Kunst ausschließlich mit einem Becher Wein vergolten (Lied und Wein sind sozusagen gleichwertig). Im Gedicht an Frau von Stein mit dem verheißungsvollen Titel „Der Becher“ gehen dann Liebe, Wein, die im Trinkgefäß anwesende Bildnerkunst sowie deren göttliche Überhöhung in einer untrennbare Symbiose der sozusagen höchsten Güter auf: Liebe, Kunst und Wein.
 

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