Tod im Goldenen Dreieck

Dieter Jandt – „Das Haus an der Grenze“

von Anja Liedtke

Tod im Goldenen Dreieck
 
Ein Tod in der ersten Szene, das könnte Krimimanier sein, doch in diesem Genre läßt mich das Sterben oft seltsam kühl. Beim Lesen in Dieter Jandts Roman Das Haus an der Grenze stehen mir dagegen die Haare zu Berge. Das liegt daran, daß die Geschichte aus der Sicht Lehnerts erzählt wird, der den Unfall seiner jungen Frau verursacht hat. Eine Perspektive, die mich tief ins Mitfühlen zieht.
       Perfekt der Schnitt ins Ruhige oder zumindest Dunkle einer Kinoszene im Anschluß, die die Folgen des Unglücks für die Seele des Protagonisten zeigt. Lehnert würde wohl dauerhaft orientierungslos Bier trinken und pöbeln, hörte er nicht – zu spät – den Ruf des Schicksals, das ihm die Aufgabe stellt, den Familien- und Generationenkonflikt zu lösen.
Die dritte Szene ein alles andere als beruhigender Rückblick in die Vergangenheit des gar nicht goldenen Dreiecks an den Grenzen zwischen Thailand, Myanmar, Laos und China. Zugleich in die Entwicklungsgeschichte jener Familie, in die der Protagonist aus dem Westen hineinheiratet. Krieg, Flucht und Verbrechen werden zwar verschwiegen, prägen aber umso tragischer Täter- und Opferrollen über Generationen hinweg.
       Atemlos würde ich der Geschichte folgen, stockte ich nicht bei außergewöhnlichen sprachlichen Wendungen und Bildern, die ich wiederholt lese: „Auf den Sitzen hockten sie wieder mit grünem Mundschutz über ihre Smartphones gebeugt, wischten und fingerten und drückten Tasten wie auf dem Display einer Herz-Lungenmaschine, während unter ihnen irgendein Patient mit aufgeschnittener Brust dalag.“
„Als ich an der Station Suttisan ausstieg, hatten wir die Telefonnummern getauscht: Für alle Fälle! Und so war es dann auch, für alle Fälle: Please mind the gap between fate and reality.“
       Die Exposition mündet in eine Familienszene, die mich am Miteinander, an Sitten, Ritualen und an der thailändischen Sprache teilhaben läßt, als säße ich im Schneidersitz dabei, bastelte an meinem Boot, das meine Sünden und Wünsche auf dem Mekong forttreiben wird, und lauschte dem scheinbar oberflächlichen Tratsch über die Nachbarn. Das Gespräch öffnet eine zweite und dritte Ebene, als zöge ich die Bambusmatte auf dem Fußboden beiseite und schaute in einen bedeutungsvollen Riß im Boden des Hauses. Mind the gap between fate and reality! Am Ende der Szene bedarf es nur eines Blickes, und der Westler steht wieder außerhalb der Familie und ihrer Kultur und ist ein Falang, der versucht, ein Thai zu sein.
       Ich bin erst auf Seite 30 und bereits derart tief in die Handlung und das Familienschicksal hineingezogen, dem Sog der Sprache ausgeliefert, daß ich gerade noch so viel Distanz halte, um die Schnitttechnik und Komposition zu bewundern. – Und um diese Zeilen zu notieren, bevor ich Stift und Block beiseitelege, um endgültig vom Goldenen Dreieck verschluckt zu werden. Es lebe das Reisen auf der Couch mit einem guten Roman in der Hand! Am Ende kehre ich zurück, um Ihnen zu sagen, daß sich die Lesereise gelohnt hat. Sie war mehr als ein Kurztrip. Das ist eine Odyssee in Begleitung eines Menschen, der seine Zukunft verloren hat. Uns aber bereichert er durch intime Kenntnisse der regionalen Umgangsformen, historischen Schulden, des Umgangs mit Gefühlen, der Rolle der Religionen und der politischen Herrschaftsstrukturen.
       „Im wirtschaftlich aufstrebenden Bangkok säumten sich die Slums entlang der Klongs, der Wasserkanäle wie umgenähte Stoffreihen an den glitzernden Seidenkleidern der oberen Gesellschaftsschichten.“
 
Dieter Jandt – „Das Haus an der Grenze“
Ein Roman vom Goldenen Dreieck
© 2022 KaMeRu Verlag Zürich, 282 Seiten - ISBN: 9783906082868
19,- €
 
Weitere Informationen: www.kameru.ch