Erinnerungen

Donna Leon – „Ein Leben in Geschichten“

von Frank Becker

Prall voller Leben
 
Erinnerungen von Donna Leon
 
Autobiographien, Lebenserinnerungen gehören zu den interessantesten, ja spannendsten Gattungen der Literatur, handelt es sich doch um gelebtes Leben, ob von Schauspielern oder Politikern, von Nobelpreisträgern, einer Bäuerin oder eben, wie hier, von dem einer erfolgreichen Roman-Autorin: Donna Leon. Ganz besonders interessant wird es aber, wenn die Erinnernden ihr Leben nicht glorifizieren, sondern so daraus erzählen, wie es vielleicht beim abendlichen Gläschen Wein in angeregter Gesprächsrunde unter Freunden aus ihnen heraussprudelt.
       Das ist Donna Leon mit ihren handlichen Erinnerungen in „Ein Leben in Geschichten“ ganz zauberhaft gelungen. Wir schlagen ihr Buch auf – und sitzen in besagter Runde, um ihren bunten Erinnerungen an Kindheit und Jugend, Studium und Beruf zu lauschen, gehen mit ihr auf abenteuerliche Reisen in andere Kulturkreise und erfahren so mehr über die Farben der Welt, besonders aber über die Menschen unterschiedlichster Couleur, ganz zu schweigen von ihrer Hautfarbe und Sozialisation, als ein Reisehandbuch das je vermitteln könnte. Und wir lernen mit bisher unveröffentlichten Texten die Schriftstellerin kennen, die spätestens seit 1993 mit Venezianisches Finale das Genre „Kriminalroman“ neu definierte.
 
       Am 28.9.2022 kann Donna Leon ihren 80. Geburtstag feiern. Ein würdiger Anlaß für den Zürcher Diogenes Verlag, ihre Autobiographie in kleinen und ganz kleinen Geschichten, wunderbaren Episoden aus ihrem bewegten Leben und Abenteuern in Ländern und Kulturen rund um den Globus vorzulegen. In New Jersey geboren und aufgewachsen, mit irischem, deutschem und lateinamerikanischen Anteilen im Blut hat die spätere Literaturdozentin nach ihrer ländlich geprägten Jugend schon bald ihre Heimat verlassen, um sich voller Neugier – und um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen – als Lehrerin für die englische Sprache und Literatur auf die weite Welt einzulassen. Im China der 70er Jahre und der „Modernisierung“ unter Hua Guofeng, in der Zeit des persischen Umbruchs und dem Sturz des Schah-Regimes, als der Iran den Teufel durch Beelzebub ersetzte, an der italienischen Zweigstelle einer amerikanischen Universität auf einer US-Basis in Italien und in Saudi-Arabien versuchte sie ihrer Klientel Kultur und Sprache der englischen Literatur nahezubringen. Mit wechselndem Erfolg, wie man liest. So bitter die Rechtlosigkeit der ins Land gerufenen „Spezialisten“ in China und besonders Saudi-Arabien ist, Donna Leon vermag auch diese dunklen Kapitel mit  gesundem Galgenhumor zu erzählen. $audiopoly darf man nicht verpassen!
 
       Schließlich warf sie sich mit Herz und Schreibmaschine ihrer großen, lebenslangen Liebe in die Arme: Italien. Da wo ihre erfolgreichen Kriminalromane um den kultivierten Commissario Brunetti spielen, lebt sie seit über 40 Jahren auch, in Venedig. In dieser herrlichen Stadt der Wunder kann man die Menschen um sich herum vielleicht am besten kennenlernen, lebt man doch recht nah beieinander. Donna Leon erzählt im letzten Teil ihres Buches einiges über die Lebensart der Italiener, pardon, der Venezianer – und sie tut das so erfrischend, daß man wiederum mittendrin ist, bei der Suche nach dem perfekten Cappuccino, auf dem Markt beim Einkaufen („Clausewitz auf dem Rialto“, göttlich) oder man teilt mit ihr und den Venezianern den Haß auf die riesigen Kreuzfahrtschiffe, die schaffen könnten, was den Osmanen, den Genuesern oder den Spaniern nicht gelang, den Untergang Venedigs zu besiegeln.
       Fast zu Ende des schmalen, jedoch wertvollen Bandes reflektiert Donna Leon ganz kurz über das älter werden. Dafür möchte man sie in den Arm nehmen und ihr danken, so klug setzt sie die Worte zu dem, was alle im Herbst des Lebens bewegt. Zum guten Schluß kann man in Stichworten lesen, was sie mag und was sie nicht mag. Hier können die Leser herausfinden, was sie mit Donna Leon gemeinsam haben. War bei mir vieles. Herzlichen Dank und Glückwünsche zum kommenden Geburtstag!
 
Donna Leon – „Ein Leben in Geschichten“
Originaltitel: A Tale of One's Own – Übersetzung aud dem Amerikanischen von Christa E. Seibicke, Werner Schmitz und anderen
© 2022 Diogenes Verlag, 191 Seiten, Ganzleinen, Lesebändchen -  ISBN: 9783257072099
22,- €
 
Weitere Informationen: www.diogenes.ch