Zeit für die Hausaufgaben

Deutschland muß ökonomische Fesseln lösen

von Lothar Leuschen

Foto © Anna Schwartz
Zeit für die Hausaufgaben
 
Deutschland muß ökonomische Fesseln lösen
 
Von Lothar Leuschen
 
Krieg ist nie steril. Die Bilder sind erschreckend, verstörend, und die Schicksale der Überlebenden sind tränentreibend. So nah, so konfrontiert war Deutschland seit fast 80 Jahren nicht mehr mit Tod und Terror, nicht während des blutigen Balkan-Konfliktes in den 1990er Jahren, auch nicht am 11. September 2001. Diesmal ist das anders. Diesmal steht der freie Westen direkt am Zaun zum Schlachtfeld. Und Deutschland ist beteiligt, ohne Kriegspartei zu sein. Deshalb stellt sich die Frage nicht, welche Bilder vom Krieg, vom mutmaßlichen Massaker in Butscha in die Wohnstuben gesendet werden. Stattdessen wächst der Druck, Konsequenzen zu ziehen. Wie lange will die Bundesregierung es noch aushalten, einem Schlächter sein wichtigstes Werkzeug zu liefern, nämlich Geld? Wann siegt die Einsicht, daß Widerstand nicht anstrengungslos und schon gar nicht zum Nulltarif zu leisten ist? Deutschland muß sich einstellen, Deutschland muß sich umstellen. Der Umgang mit dem Angriffskrieg Rußlands auf die Ukraine ist eine Haltungsfrage. Und mit der gebotenen Haltung geht einher, daß Hausaufgaben zu erledigen sind.
 
Die Wohlstandsrepublik hat sich eingerichtet in Abhängigkeiten. Wenn ein Schiff den Suez-Kanal verstopft, stehen in Deutschland die Fabriken still. Wenn Asien keine Halbleiter liefert, rollt in Wolfsburg, Sindelfingen und Ingolstadt kein Auto vom Band. Wenn Rußland droht, den Gashahn zuzudrehen, werden Wirtschaftskapitäne in Deutschland panisch. Deshalb ist es Zeit, die Fesseln zu lösen. Es gilt nachzuholen, was in den vergangenen 20, 30 Jahren versäumt worden ist. Mehr Energie aus Wind und Sonne, wieder mehr Fertigungstiefe bei Produkten made in Germany. Es geht auch ohne Rußland, es geht mit weniger China.  Das kostet Geld, vorübergehend vermutlich auch Arbeitsplätze und Komfort. Aber es ist leistbar, wenn an die Stelle der Abhängigkeit von billigen Energielieferanten und totalitären Regimen gleichberechtigte Partnerschaften und die Erkenntnis treten, daß soziale Marktwirtschaft nicht auf Turbokapitalismus basiert, sondern auf gesundem, stetigem Wachstum von Wirtschaft und Wohlstand.
 
 
Der Kommentar erschien am 6. April 2022 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.