Abgründig

Johannes Seiffert – „Mysteriöse Verbrechen“

von Frank Becker

Abgründig
 
Unfaßbare Verbrechen mitten unter uns
 
Zu wissen, daß ruchlose Mörder, Entführer und Gewalttäter sich in unserer Gesellschaft stets und überall mitten unter uns befinden, erbarmungs- und skrupellos entsetzliche Verbrechen planen und ausführen – und daß etliche davon nie erkannt, ermittelt, überführt und verurteilt werden, gibt schon Grund, sich unbehaglich zu fühlen. Ein weiterer Grund zur Unruhe ist der Umstand, daß einige Verbrechen möglicherweise aufgrund entweder der Unfähigkeit der Ermittler oder aber wegen unverständlicher bürokratischer Hürden unaufgeklärt bleiben.
Viele Mordtaten werden auch überhaupt nicht als solche erkannt – nicht von ungefähr gibt es unter erfahrenen Kriminalisten die ernüchternde Erkenntnis: „Wenn auf jedem Grab eines Ermordeten ein Lichtlein brennen würde, wären die Friedhöfe des nachts hell erleuchtet.“ Aber das ist eine andere Geschichte.
 
In den zwanzig Kapiteln des neuen Buchs von Johannes Seiffert mit dem passenden Titel „Mysteriöse Verbrechen“ geht es um unaufgeklärte Taten, die durch ihre spektakuläre Begehensweise, ihre oft akribische Planung und die Kaltblütigkeit ihrer Ausführung besondere  öffentliche Wahrnehmung gefunden haben. Es sind Verbrechen, die bis heute Rätsel aufgeben und mittlerweile in die Kriminalgeschichte eingegangen sind. Johannes Seiffert richtet den Blick auf wahre, bis heute ungelöste Kriminalfälle der letzten fünfzig Jahre aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, aber auch geradezu unglaublicheb Verbrechen aus Frankreich, Belgien, Italien und den USA.  
Schon die erste geschilderte Geschichte, die 2018 wochenlang durch Fernsehen und Zeitungen ging, ist so verwirrend und ohne Spuren, daß man tatsächlich von einem Mysterium sprechen kann: das Verschwinden des Milliardärs und Handels-Magnaten Karl-Erivan Warder Haub bei einer Wanderung in den Schweizer Alpen. Unglücksfall? Mord? Entführung? Betrug? Steuerflucht? Bis auf den Tag bleibt der sportlich durchtrainierte Mann spurlos verschwunden, jedoch nicht ohne durch die Umstände spannende Fragen aufzuwerfen. Hier wie bei vielen anderen der im Buch geschilderten Fälle ist zu bemerken, daß oft, wenn die Ermittlungsbehörden nicht weiterkamen, Journalisten dazu beitrugen, wider Leben in die Untersuchungen zu bringen.
Die Vorgeschichte und der Untergang der Ostseefähre „Estonia“ im Jahr 1994, die 852 Menschen mit sich in die Tiefe riß, ist so ein Fall. Immer wieder brachten Journalisten neue Aspekte ins Spiel, mit Hinweisen auf mögliche Sabotageakte, Schlamperei, Materialfehler, pder das Mitwirken von Geheimdiensten. Schuldige konnten nie gefunden werden, wohl auch, weil Regierungen nicht daran interessiert waren. Einer der aufregendsten geschilderten Kriminalfälle – wiewohl alle aufregend und ausgezeichnet beschrieben sind – ist wohl der des rätselhaften Flugzeugentführers, der 1971 durch eine Bombendrohung eine Maschine der Northwest Orient Airlines in seine Gewalt brachte, bei einer Zwischenlandung alle Passagiere freiließ, ein hohes Lösegeld erpresste und nachts, im Winter und im Straßenanzug mit einem Fallschirm über dem US-Staat Washington absprang. Man hat nie wieder von ihm gehört.
 
Wir treffen auf den nette Nachbarn von nebenan, der in der örtlichen Jazzband Klarinette spielt und sich nach seinem Tod als einer der schlimmsten sadistischen Killer der Geschichte entpuppt. Das Verschwinden eines kleinen Mädchens (Peggy Knobloch) nur 50 Meter vor ihrem Elternhaus veranlaßt die Polizei, den debilen »Dorfdepp« Ulvi K. der Öffentlichkeit als Mörder vorzuführen, obwohl seine Unschuld eigentlich nie in Frage stand. Man „brauchte“ einen Täter und begnügte sich mit einem vagen Verdacht. Ein falsches Geständnis wird ihm unter Druck abgerungen und er wird zu lebenslanger Haft verurteil. Erst ein Wiederaufnahme-Verfahren bringt seine Unschuld ans Licht. Der wahre Mörder ist bis heute nicht ermittelt worden. Ein junger Deutscher verschwindet nach geheimnisvollen Anrufen zu Hause in Warna/Bulgarien, eine Familie wird bei der Rast auf einem Parkplatz in den Alpen erschossen, Nina von Gallwitz wird 1981 entführt und ein halbes Jahr festgehalten. Das Lösegeld taucht später teilweise auf, aber die Täter werden nie ermittelt. Die Reihe solcher unaufgeklärter Straftaten läßt sich fortsetzen …
 
Seiffert beleuchtet die vorhandenen Fakten, analysiert Hintergründe, wirkt Mythenbildung entgegen, die im Schlepptau der Ereignisse entstanden, und er präsentiert alle erreichbaren Informationen auf der Basis neuester Erkenntnisse. Ein besonders wegen seiner Wahrheiten spannendes Buch, das zu Fragen anregt. Von den Musenblättern empfohlen.
 
Johannes Seiffert – „Mysteriöse Verbrechen“
Zwanzig rätselhafte, berühmt-berüchtigte und spektakuläre Kriminalaffären
© 2022 BEBUG / edition berolina, 238 Seiten, Broschur – ISBN: 9783958411180
9,99 €
 
Weitere Informationen: www.bebug-verlage.de/