„Davon glaube ich kein Wort!“

James Clerk Maxwell in der Anekdote

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer

„Davon glaube ich kein Wort!“

James Clerk Maxwell in der Anekdote

Von Ernst Peter Fischer
 

„War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb?“
 
Bei aller Bedeutung für die Stromversorgung einer zivilisierten Gesellschaft – was Faraday vom wissenschaftlich-historischen Standpunkt aus entdeckt und beschrieben hat, nennt man mit einem von ihm eingeführten Wort „Felder“. Faraday hat bemerkt, daß der Raum, in dem Menschen leben und sich ihr Kosmos entwickelt, nicht leer, sondern mit elektrischen und magnetischen Feldern gefüllt ist, mit deren Hilfe sich die dazugehörigen Kräfte bemerkbar machen. Zwischen den Polen eines Magneten und zwischen elektrischen Ladungen, so konnte Faraday nachweisen, verlaufen Kraftlinien, „lines of force“, die zwar für das Auge unsichtbar bleiben, trotzdem aber für sichtbare Wirkungen sorgen. Im Anschluß an Faradays Arbeiten setzte sich der schottische Physiker James Clerk Maxwell an die Aufgabe, diese elektromagnetischen Felder in eine mathematische Form zu gießen, und als er in einem Geniestreich die heute weltberühmten vier Maxwell Gleichungen präsentieren konnte, die das Wechselspiel zwischen elektrischen und magnetischen Feldern beschreiben, staunten seine Kollegen derart, daß sie meinten, hier habe eine höhere Macht ihre Hände im Spiel gehabt. „War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb?“, zitierte der österreichische Physiker Ludwig Boltzmann beim Anblick der Maxwell Gleichungen aus Goethes „Faust“, dessen Held sich am Anfang des Dramas einem „Zeichen des Makrokosmos“ gegenübersieht, in dem er meint, die große Ordnung der Welt erblicken zu können. Faust fragt sich, ob die göttlich gedeuteten Botschaften ihm „das das innre Toben stillen,/ Das arme Herz mit Freude füllen/, Und mit geheimnisvollem Trieb/ Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen.“
       Genau dies gelingt den Maxwell Gleichungen, die das Licht als elektromagnetische Welle zu verstehen erlaubten und von denen ausgehend später Albert Einstein die klassische Mechanik in seine Relativitätstheorie umwandeln konnte, was ohne Maxwells Hilfe und Vorgabe ausgeschlossen wäre.
       Der Schotte zählt zu den Giganten der Physik, ohne daß sein Name zu einem Haushaltswort geworden wäre, aber man kann zwei Anekdoten erzählen, in denen er auftritt, und zwar geht es einmal um einen Kreisel und beim zweiten Mal um elektrischen Strom. Was den Kreisel angeht, so wird jeder, der sich einmal darum bemüht hat, wissen, daß die so hübsch rotierenden Gebilde ihre Tücken haben. Maxwell liebte schon als Student den Umgang mit Kreiseln und ihre Mathematik, und er stellte gerne Freunden vor, wie lange sich die entsprechenden Körper um eine Achse drehen konnten. Bei einer späten Vorführung in einem Wohnheim gingen einige der Zuhörer schon ins Bett, als der von Maxwell in Bewegung gesetzte Kreisel noch lief, was ihn auf eine Idee brachte. Er stand am nächsten Morgen zeitig auf, wartete im Gemeinschaftsraum, bis er die ersten Freunde sich nähern hörte, versetzte den Kreisel vom Vorabend erneut in Rotation und freute sich über den erstaunten Gesichtsausdruck der Frühaufsteher, als sie das sich offenbar die ganze Nacht über gedreht habende Spielzeug erblickten.
       Die zweite Geschichte sieht Maxwell in Cambridge im Cavendish Laboratorium, in dem er es liebte, Experimente zu wiederholen, über die seine Kollegen publizieren wollten. In einer Arbeit hatte ein Physiker ein Verfahren beschrieben, wie man zwei elektrische Ströme dadurch vergleichen kann, daß man sie durch den eigenen Körper leitet und die Muskelspannungen registriert. Maxwell fand die Idee gut, „Jedermann sein eigenes Strommeßgerät!“ freute er sich, um seine Ärmel aufzukrempeln und die Hände in ein mit einer Flüssigkeit gefülltes Becken zu tauchen, durch das ein Strom geleitet werden sollte. In diesem Augenblick meldete sich bei ihm ein Besucher aus den USA, ein Professor Samuel Langley aus Pittsburgh, der von vielen als eingebildet geschildert wurde und sich selbst für unfehlbar hielt. Maxwell begrüßte den Gast mit dem Vorschlag, seine Hände auch einmal in das Becken zu tauchen, um sich von der erstaunlichen Genauigkeit zu überzeugen, die solch eine menschliche Messung mit sich bringt. Doch Langley verstand keinen Spaß. Er kehrte auf der Stelle um und verließ das Laboratorium mit den wütenden Worten, „Wenn ein englischer Mann der Wissenschaft in die USA kommt, würden wir ihn anders behandeln!“ Dabei war er eigentlich gekommen, um sich bei Maxwell zu beschweren, der zuvor eine Arbeit von Langley zur Durchsicht (Review) bekommen und dabei das aus ihr gestrichen hatte, was Maxwell mehr wie eine „persönliche Gleichung“ vorkam und weniger Physik von allgemeinem Interesse enthielt, auch wenn Langleys Herz daran zu hängen schien.
 

© Ernst Peter Fischer