Das kommt mir nicht in die Tüte

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Das kommt mir nicht in die Tüte
 
Brötchenbeutel kann man aufblasen wie einen Luftballon und sie mit einem lauten Knall zerplatzen lassen. Viele überbrückten damit das Feuerwerksverbot am Silvesterabend. Die ersten Tüten, die in Paderborn zum Einpacken verwendet wurden, waren Spitztüten. Die viel gescholtene Plastiktüte ist gar keine Tüte, sondern ein Beutel. So verwundert es nicht, daß das Känguruh ein Beuteltier ist, aber der Paderborner Hase ein Beutetier bleibt und wenn er Pech hat, in einem Sack landet.
Packmittel mit größerem Zuschnitt werden nämlich als Sack bezeichnet. Wer sich für Säcke interessiert, sollte unbedingt das Sackmuseum in Nieheim besuchen, in dem es sogar Lieder von Erna Sack zu hören gibt, die am Stadttheater Bielefeld Triumphe feierte. Erna Sack zu Ehren komponierte der Konditormeister Heinrich Schreyer (!) eine Cremetorte, die noch heute ihre Genießer mit einem viergestrichenen „c“, einem extrem hohen Ton, jubilieren läßt. Die Tüte ist eine Sonderform des Beutels, gefertigt aus einem dreieckigen Zuschnitt und mit einer Längsnaht versehen, sodaß eine Spitze entsteht. Ein Beispiel für eine echte Tüte ist die „Zuckertüte“, die häufig zum Schulanfang verschenkt wird. Ich traf jetzt einen Trompeter (tutet man nicht auch in ein Horn?), der sich gerade von Bäcker Hermisch ein Brot geholt hatte, welches schon geschnitten in einem Plastikbeutel lag. Sowohl der Plastikbeutel, als auch der vorweggenommene geschnittene Zustand sind zwei No-Gos für Brotgenießer. Ein bereits geschnittenes Brot verhindert den eigentlichen Umgang mit einem Brot. Wer weiß schon im Vorhinein, welche Dicke das Brot haben soll? Der Leberwurstaufstrich braucht ein solides Fundament unter sich, während Marmelade gerne auf Wolke 7 reist. Brot braucht eine starke Hand. Widersetzen wir uns nicht manchen Standards aus Bequemlichkeit und Arroganz. So lagert man ein Brot natürlich in einem Papierbeutel. Der Papierbeutel schirmt das Brot vor den Blicken der Hungrigen ab. Ein Brot braucht Rückzugsmöglichkeiten. In einem Plastikbeutel bringt man einen Goldfisch nach Hause, aber kein Brot. Es gibt Bäckereien, die verpacken ihr Brot in Frischetüten. Angeblich bleibt in diesen Tüten das Brot lange knusprig. Aktivmembrane versprechen einen Genuß bis zur letzten Scheibe. Wer Brot nicht nur essen, sondern auch begreifen will, sollte auf diese Tüte, die ja eigentlich ein Beutel ist, verzichten. Es kann nicht alles frisch bleiben, welches schon auf dem Weg ist, hart zu werden. Das ist ein Eingriff in die Vergänglichkeit. In einer Frischetüte verliert das Brot seine Identität. Es wird schlaff. Man genießt ein frisches Brot anders, wenn man weiß, wie vergänglich der Augenblick ist. Außerdem, ein Paderborner Brot schmeckt erst so richtig am zweiten Tag. Ein Brot zu vermenschlichen ist geschmacklich gesehen sein Untergang. „Das kommt mir nicht in die Tüte“, sollte man ausrufen, wenn die Verkäuferin das Brot in eine Frischetüte schieben will. Die Vergänglichkeit der Dinge bereitet uns auf den Tod vor. Brot ist nicht hart. Kein Brot zu haben, das ist hart.
 

© Erwin Grosche

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