„Winterreise“

Thomas Laske und Verena Louis im 2. Konzert von „Liedertal“

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper

„Winterreise“
 
Thomas Laske und Verena Louis
im 2. Konzert von „Liedertal“
 
Wer im Zuge von Klimawandel und zunehmender Erderwärmung den Winter noch in Deutschland erleben will, muß an den Funtensee in Oberbayern fahren. Dort herrschen aktuell -20 Grad C. Für das musikalische Erlebnis einer „Winterreise“ war jetzt aber der Mendelssohn-Saal in der Historischen Stadthalle zu Wuppertal das richtige Ziel. Thomas Laske und Verena Louis präsentierten Franz Schuberts (1797-1828) Zyklus von 24 Liedern am 12.01.2022 als zweites Konzert im Rahmen von „Liedertal“, Laskes neuer Konzertreihe. Insgesamt hat Franz Schubert im Laufe seines kurzen Lebens neben Sinfonien, Messen, Klaviersonaten, Streichquartetten u.a. ca. 700 Lieder geschrieben. Die der „Winterreise“ entstanden im Sommer 1828, kurz vor seinem Tod. Es geht um Fremde, gefrorene Tränen, Erstarrung, Eis, Rückblick, Irrlicht, um elende Einsamkeit am Ende, und zuletzt dreht der Leiermann, „barfuß auf dem Eis mit starren Fingern seine Leier“. Keiner mag ihn hören, keiner sieht ihn an.“ Ist das die kondensierte Autobiographie des Komponisten? Seinen Freunden, die „durch die düstere Stimmung der Lieder ganz verblüfft waren“ hatte Franz Schubert einen „Kranz schauerlicher Lieder“ angekündigt. Kein Wunder, daß von den 24 Liedern nur sieben in Dur stehen. Wenige Wochen nach Fertigstellung erkrankte er und starb am 19. November 1828 wahrscheinlich an Typhus bei vorbestehender Syphilis. Trotz umfangreicher Literatur und zweimaliger Exhumierung (gemeinsam mit Beethoven 1863 und 1888!) läßt sich seine tödliche Krankheit heute nicht exakt bestimmen.
 
Die Gedichte der „Winterreise“ stammen von Wilhelm Müller (1794-1827), der noch vor Schubert mit nur 33 Jahren verstorben ist. Seine berühmtesten Gedichte wurden durch Schuberts Vertonung bekannt: „Das Wandern ist des Müllers Lust“ (Die schöne Müllerin) und „Am Brunnen vor dem Tore“ (Winterreise). Beide Gedichtzyklen erschienen 1821. Zu seiner Zeit bedichtete er mit großer Resonanz den Freiheitskampf der Griechen, wurde so als Griechen-Müller bekannt.  
 

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Jetzt aber zum Liederabend, der verspätet begann, weil letzte Besucher noch auf das Ergebnis ihres Antigenschnelltestes (Testzentrum neben der Stadthalle) warten mußten. Zwei G + war angesagt. Thomas Laske wird seit Jahren von Verena Louis am Klavier begleitet. Die gebürtige Pariserin lebt mit ihrer Familie in Leipzig, wo sie seit 2013 als Solorepetitorin der Streicher an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn“ arbeitet. Thomas Laske muß in Wuppertal nicht besonders vorgestellt werden, sang er doch Jahre lang an der hiesigen Oper alle in Frage kommenden Rollen. Vor 10 Jahren war seine „Winterreise“ schon einmal in der Immanuelskirche zu hören. Kürzlich erschien über den international gefragten Sänger ein Porträt.
Nach gewaltigen Gongschlägen aus dem Saallautsprecher und herzlichem Begrüßungsapplaus wurde das Publikum mucksmäuschenstill und eher beiläufig begann der Abend, die nächtliche Flucht in eine trübe Welt. Irre Hunde mögen heulen im Mondenschein. Aber die Liebe liebt das Wandern, welches in der Romantik von besonderer Bedeutung war. Und der stürmische Wind spielt nicht nur mit der Wetterfahne auf des schönen Liebchens Haus, sondern vor allem im Inneren des Hauses mit ihrem Herzen. Hochemotionale Dynamik zwischen leise und laut bei bedrohlichen Trillern in der Tiefe spiegeln auf engstem Raum Emotionen und Natur. Gefrorene Tränen fallen im Stakkato wie Eiskügelchen, kommen aber aus glühend heißer Brust. Musikalische Momente von Melancholie, Unentschlossenheit, fehlendem Ziel und inniger Liebe entstehen im musikalischen Ohr. Wenn das liebende Herz, sich im Eis des zugefrorenen Baches spiegelnd, nicht zu erkennen ist (Nr. 7 „Auf dem Flusse“), dann simuliert die Musik mit 16tel- bzw. 32tel Triolen nahezu Herzrhythmusstörungen. Auch beim berühmten „Am Brunnen vor dem Tore“ (Nr. 4 „Lindenbaum“) verschwindet die die dörfliche Idylle bald, wenn kalte Winde dem Nachtwanderer den Hut vom Kopfe blasen. Ein besonderer musikalischer Höhepunkt beunruhigender Spannung zwischen Traum und Alptraum, „bunten Blumen im Mai“ und „finster schreienden Raben auf dem Dach“ bot Nr. 11 („Frühlingstraum“). Hinreißend „schleuderten“ Bariton wie Pianistin die gewaltige innere Dramatik dieser Lieder über die Rampe, bzw. verloren sich in zartestem Pianissimo. Wahrlich, die beiden waren ein Herz und eine Seele in bestem Schubertschen Sinne und so entstand der ganze Zyklus aus einem Guss, in einem Atem. Verena Louis begleitete subtil mit ausgesuchter Feinheit und Aufmerksamkeit.
 

Und Thomas Laske bestach durch makellose Registerübergänge wie souveräne Stimmtechnik, wenn er z.B. seine kraftvolle Stimme in strahlender, baritonaler Höhe durch ein beseelendes Tremolo belebt. Er sang alles völlig auswendig, was für eine klare, konzise Gestaltung der Musik aus dem Inneren heraus wohl Voraussetzung ist. Differenzierteste Agogik und Dynamik, seine klare Diktion fesselten das zahlreiche Publikum, welches in konzentrierter Stille (nicht einmal Husten!) den Mendelssohnsaal völlig füllte (Schachbrettmuster-Sitzordnung). Schubert ging mit diesen Liedern wenige Monate vor seinem Tod die Straße seines Lebens, „die noch keiner ging zurück“. Nach 80 Minuten endete dieser Liederabend der Sonderklasse mit dem herzergreifenden „Leiermann“, der „mit starren Fingern dreht was er kann“ und die Frage nach seiner Begleitung nicht mehr beantwortet.


Foto © Johannes Vesper

Starker langanhaltender Applaus, Bravi, Bravissimi für diesen Abend, der der Ankündigung „Liederabende der Spitzenklasse“ völlig entsprach …
 
… und das Publikum kann sich freuen auf das:
3. Konzert dieser Reihe: Am 08.05.2022 17.00 Uhr kommen Jutta Böhnert (Sopran) und Carla Maffioletti (Sopran und Gitarre) mit „Almeh Luz“, Der Name des Programms ist eine Kombination von Almeh, mit welchem im Ägypten des 19. Jahrhunderts Musikerinnen und Dichterinnen bezeichnet wurden, und dem portugiesischen Wort für Licht „Luz“.