Gedanken zur Kunst

von Peter Hohberger

Peter Hohberger - Foto © Frank Becker
Das Portrait
in der Kunst unserer Zeit
 
Die Kunst unserer Zeit scheint kaum mehr am getreuen Abbild des menschlichen Körpers interessiert zu sein, auch wird nicht mehr das individuelle Gesicht eines Menschen gezeigt, auch nicht dessen Schönheit und Sensibilität. Sucht man den Geist in Gesichtern, so sucht man ihn in der Plastik oder der Malerei unserer Zeit meist vergeblich. Man findet das Entsetzliche, Deformierte, Gewöhnliche und die schematische, die vereinfachte Abbildung des Menschen. Nur das scheint Künstlern noch darstellenswert zu sein, nur das scheint zeitgemäßen Ausdruck zu besitzen. Wo sind die Zartheit, die Schönheit und die Anmut des Geistigen und Beseelten, wo die individuelle Ausprägung in unserer Kunst geblieben? Dies alles wird aus welchem Grund auch immer unterschlagen.
„Das durch Übertreibung zur Kenntlichkeit Gebrachte“ las ich kürzlich in einer lobenden Besprechung. Ich frage mich dabei, warum man die Übertreibung nötig hat, um etwas zu erkennen. Gibt es kein Auge mehr, das eine Wirklichkeit zu sehen fähig ist, die nicht übertrieben dargestellt, die ohne Überzeichnung erkennbar ist? Es herrscht wohl ein Defizit an genauer Betrachtung und Gestaltwahrnehmung, sodaß in der heutigen Kunst nahezu nur noch das Grelle und Überzeichnete, und oft nicht einmal das Überzeichnete, sondern das Verzeichnete als Kunst anerkannt wird. Und natürlich die Vereinfachung, das auf die Grundform Reduzierte, das für mich ebenfalls zum Deformierten zählt, denn es löscht eine unserer wertvollsten Lebensformen aus, die Individualität.
 
Peter Hohberger
 
Zur Melodie der Plastik
 
Für mich ist das Faszinierende einer Plastik das Ensemble ihrer Linien, also ihrer Schwingung. Wenn ich eine Plastik oder Skulptur langsam drehe oder um sie herumgehe, dann bin ich ergriffen von dieser Aufeinanderfolge immer neuer Linien, immer neuer Schwingungen.
Das ist wie Musik, bei der ein Thema sich wandelt, bei der die Zeit nicht leer und stumm verrinnt, sondern mit Reihen von Noten, von Tönen gefüllt ist, von Rhythmen und Melodien. Es ist ein kompliziertes Auf- und Absteigen, sich Verschlingen und Durchdringen, so wie Klänge, die oft unmittelbar das Tiefste und Verborgenste des Hörers treffen. Das Hören ist ein Berührtwerden im direkten Sinne des Wertes. Die Schallwellen treffen auf ein Sinnesorgan, berühren es, und die Nerven leiten diese Berührung weiter. Meine Augen werden von den Linien einer guten Plastik ähnlich berührt wie meine Ohren von einem schönen oder komplizierten Klang oder einer ergreifenden Folge von Tönen.
 
Peter Hohberger
 
 
© Peter Hohberger 2018