Das Geschenk der Lesbarkeit

Alfred Miersch zum 70. Geburtstag

von Andreas Steffens

Alfred Miersch - Foto © Frank Becker

Das Geschenk der Lesbarkeit
 
Alfred Miersch zum 70. Geburtstag
 
Für einen Autor gibt es nichts Wichtigeres als – (s)eine(n) – Verleger. Fehlt einer, werden alle Inspirationen, alle Musen, wird alle Arbeit null und nichtig, und die Mappen und Schubladen zu Gräbern beschriebenen Papiers. Der Verleger ist das Schicksal. Zwar ist man Schriftsteller, indem man sein Leben schreibend führt; zum Autor aber wird man erst, wenn das, was man schrieb, auch gelesen werden kann. Ein Autor ohne das im Buchhandel lieferbare gedruckte Buch ist keiner.
            Daran haben die Möglichkeiten des ›self-publishing‹ nichts geändert, von denen immer mehr Gebrauch machen, und immer mehr auch machen müssen. Längst sind es nicht mehr nur begeisterte Amateure und urteilslose Dilettanten, die ihre Schriften selbst drucken lassen. Unter dem ökonomischen Diktat möglichst großen Umsatzes sehen sich inzwischen auch Autorinnen und Autoren gezwungen, zu diesem Mittel letzter Wahl zu greifen, deren literarischer Rang bewährt und unbestreitbar ist. Wer findet schon das verdiente Glück eines Paul Nizon, dem seine Verleger über Jahrzehnte hin, in denen seine Bücher nur eine überschaubare Leserschaft fanden, die Treue hielten, und damit ihre ureigene Aufgabe erfüllten, dem Buch, das sie drucken, Leser zu verschaffen, ganz gleich, wie viele, oder wenige.
Der Verleger will, daß gelesen werde, was er des Gedruckt Werdens für wert befand.  Jeder Verlagsprospekt, jedes verschickte Rezensionsexemplar verkündet ein Lektüregebot: wollt ihr Leser sein, echte Leser, so habt ihr dies hier zu lesen. Der Wert eines Buches bemißt sich nicht nach Auflagenhöhe und Umsatzzahlen. Er beruht auf dem Urteil, wert zu sein, gelesen zu werden. Es zu fällen, macht den Verleger. Mit ihm macht sein Verleger den Schreibenden zum Autor.
Daß es dabei auch um ein Geschäft geht, sollte nicht übersehen lassen, daß dem Autor damit ein Geschenk gemacht wird: das Geschenk, sichtbar sein zu können, was er ist. Erst das gelesene Buch vollendet die Autorschaft, die es hervorgebracht hat.
Daß Alfred Miersch, der heute sein siebzigstes Lebensjahr vollendet, schließlich zum Verleger wurde, beruht auch darauf, daß er dies aus eigener Erfahrung genau weiß. Denn vorgezeichnet war es trotz einer Ausbildung zum Verlagskaufmann nicht. Davor lag das eigene Schreiben. Getrieben von jenem welt- und aufbruchssüchtigen ›Erfahrungshunger‹, den Michael Rutschky 1980 in einem bedeutenden – und bedeutend gebliebenen – Essay beschrieb, wurde er als Lyriker und Verfasser atmosphärisch ebenso dichter wie genauer Prosa-Miniaturen einer jener Alltagsethnografen, die zu dem neuen Realismus des literarischen Aufbruchs der 70er Jahre unter dem Einfluß der amerikanischen Underground- und Pop-Art-Literatur beitrug. Zwei Gedicht- und zwei Prosa-Bände, zahlreiche Beiträge in Anthologien, und die von 1975 bis 1979 von ihm herausgegebene Zeitschrift Tja etablierten ihn in der Szene und darüber hinaus.
Unter dem Spardiktat einer ersten allgemeinen Krisen-Politik fiel 1981 die Verleihung des Von-der-Heydt-Preises der Wahlheimatstadt des gebürtigen Kölners aus. Dank privater Spenden wurde aus dem ausgefallenen Preis der Stadt Wuppertal ein Preis ihrer Bürger. Er ging an Miersch und den bildenden Künstler Ralf Michael Erich Streuf. Weitere Preise sollten folgen.
Doch in den folgenden Jahren versiegte der eigene produktive Impuls. An der Betonmoderne der gesellschaftlichen Verhältnisse, deren Tristesse er meisterhaft auszusprechen verstand, zerschellte die Sehnsucht nach wirklicher Veränderung.
Den Büchern aber blieb er in verschiedenen Tätigkeiten treu. Zuletzt als Leiter der Buchbinderei der Universitätsbibliothek Wuppertal. Mochte die eigene auch hinter ihm liegen, die Literatur beschäftigte ihn zu sehr, um sich ihr nur in dieser Funktion und als Leser zu widmen. Im Jahr 2000 gründete er den NordPark Verlag, zu dessen Programm er schlicht ›Literarische Texte und Texte zur Literatur‹ bestimmte. In den zwanzig Jahren seiner Verlegertätigkeit wuchs es zu einer beeindruckenden backlist heran. Ihm verdanken eine Vielzahl von Autorinnen und Autoren jene Lesbarkeit, die Autorschaft beglaubigt. Unter ihnen solche, die unter den sonst üblichen Gesetzmäßigkeiten des Literaturbetriebs kaum eine Chance darauf gehabt hätten. So wurde der Verlag nicht zuletzt dank der bibliophilen Reihe der ›Besonderen Hefte‹ zum Repräsentanten einer stets zu wenig beachteten regionalen Literaturszene, deren Vitalität er zur Sichtbarkeit verhalf, und der Stadt Wuppertal zu einem erweiterten literarischen Profil, zu dem nicht nur die großen, weithin bekannten Namen gehören.
Eine der bedeutenden Leistungen des Verlages war die Rettung des Werkes von Karl Otto Mühl, das er übernahm, als es nach einer kurzen Hochzeit aus dem Literaturbetrieb herauszufallen begann und vergessen zu werden drohte. Auf Neuausgaben seiner frühen Romane folgte die Serie der Alterswerke.
Generös und einsatzfreudig bis hin zu finanzieller Unvernunft, verhalf Miersch auch Schriften zum Druck, die strengsten literarästhetischen Maßstäben nicht immer genügen mochten, die aber ihren von der Herablassung der Hochkultur gerne übersehenen Wert als Ausdruck eines Lebens in und durch Literatur besitzen, der nicht hoch genug geschätzt werden kann.
Davon, daß auch die Prosa der Philosophie zur Literatur gehört, selbst überzeugt, machte Alfred Miersch mich kurz entschlossen zu einem seiner Autoren, als meine Verlagslaufbahn stagnierte. Es folgte ein Jahrzehnt einer an Titeln reichen, fruchtbaren und stets zuverlässigen Zusammenarbeit.
Mit seinem Verlag hat Alfred Miersch nicht nur seine Autorinnen und Autoren gefördert, und einige dazu überhaupt gemacht, sondern zur kulturellen Bereicherung Wuppertals wesentlich beigetragen. Und demonstriert, daß Kultur von nichts so sehr lebt wie von persönlichem Einsatz.
Ein Autor dankt seinem Verleger, indem er ihm ein nächstes Buch anvertraut. Das konnte ich über die Jahre ein Dutzendmal tun. Und täte es weiter gerne, wäre da nicht der Wunsch des Jubilars nach verdientem ruhigerem Stand, der zu respektieren ist.

Gratulation!
 
Andreas Steffens