Hoffnung und Melancholie

Ulrich Schamoni - „Chapeau Claque“

von Frank Becker

Hoffnung und Melancholie
 
Eine Lebensbeichte
 
„Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.“
 
In „Chapeau Claque“ erzählt der Privatier und frühere Berliner Geschäftsmann Hanno Giessen (Ulrich Schamoni, 1939-1998) vor laufender Kamera seine Geschichte, eine Lebensbaichte. Mit 33 Jahren hatte er sich nach der Pleite der ererbten Zylinder-Fabrik, des Familienunternehmens, das seine Millionen mit der Produktion von „chapeaux claques“ verdient hatte, aus dem Geschäftsleben zurückgezogen. Giessen hat sich seinen Vermögensanteil gerade noch sichern und sich damit auf den mit Antiquitäten und Gemälden ausgestatteten übriggebliebenen Familiensitz im englischen Landhausstil mit verwildertem Garten zurückziehen können. Dort lebt der Junggeselle allein, genießt er das Ausschlafen, läßt sich mit dem täglichen kulinarischen Bedarf und Wein beliefern, frönt seinen Sammelleidenschaften (Email-Schilder, Spielzeugsoldaten, Hasen, Sammelbilder, Eisenbahnen, Blechspielzeug, Flugzeugmodelle, Nazi-Devotionalien, 50er-Jahre-Zeug) und empfängt Gäste, Händler und Sammler  und Freunde, die ihn um sein freies Leben beneiden. Von Langweile keine Spur. Im Bademantel – er hat eine große Kollektion davon und geht eigentlich nur im Bademantel, weil das so bequem ist und er eh nie das Haus verläßt -, definiert er vor der Kamera sein Leben in Binsenweisheiten, Lyrik und Literaturzitaten.
 
 „Schön ist ein Zylinderhut, wenn man ihn besitzen tut,
doch von ganz besondrer Güte sind gar zwei Zylinderhüte.
Zu beneiden ist der Mann, der sich dreie leisten kann.
 

Ulrich Schamoni © Schamoni Film & Medien GmbH

Eine Wende in das einsame Leben bringt die zauberhafte, knapp 18jährige Anna (Anna Henkel, 1953-1998), die sich bei ihm vor der Polizei versteckt (wir erfahren nie warum) und als göttergleiche Venus und stete Augenweide gerne nackt durchs Haus streift oder sich in seinem sommerlichen Garten räkelt. Eine verführerische Kindfrau vom Format einer Nabukovschen Lolita, jedoch ohne deren laszive Erotik. Hanno verliebt sich in das bildhübsche Mädchen, bekommt sie sogar ins Bett und spielt gar liebestrunken mit dem Wort Heirat. Er ist der kapriziösen Süßen, vor allem ihrer unentschlossenen Jugend letztenendes aber nicht gewachsen. Anna Henkel zeigt am der Seite Ulrich Schamonis in großer Natürlichkeit fast kindlichen Charme, gepaart mit unschuldiger Erotik. Als es um Geld und Sachwerte geht, Hanno seine piefige und Anna ihre fordernde Seite zeigt, bekommt die Zuneigung einen Riß, und mit dem Herbst vergehen Leidenschaft und Gemeinsamkeit. Anna ist weg und Hanno ist wieder allein und einsam.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.“
 

Anna Henkel © Schamoni Film & Medien GmbH

Hanno Giessen zeigt sich in seiner philosophierenden Faulenzer-Rolle als würdiger Epigone von Werner Enkes Filmfigur „Martin“ aus May Spils´ Kultstreifen „Zur Sache Schätzchen“ aus dem Jahr 1968. Ulrich Schamoni hat sich für diese wunderbare Parabel aufs Leben und die Traumwelt älter werdender Männer in Gastrollen u.a. den einzigartigen Wolfgang Neuss (1923-1989) als einen seiner Partner geholt. Es wurde Neuss´ letzter Film. Großartig auch der schillernde Rolf Zacher (1941-2018) und die Nonsens-Truppe von Insterburg & Co. (Ingo Insterburg (1934-2018), Karl Dall (1941-1920), Jürgen Barz (*1944), Peter Ehlebracht (*1940), damals auf den Höhepunkt ihrer Beliebtheit.
 
„Chapeau claque“ ist ein klassischer Autorenfilm der 1970er Jahre, der von Merlancholie erfüllt und trotz scheinbarer Heiterkeit im Grunde eine tieftraurige Lebensbeichte ist. Schamoni wartet mit sehr präzisen Charakterstudien auf und endet nur folgerichtig mit Beethovens „Wut über den verlorenen Groschen“. Er ist als DVD, zusammen mit der Ulrich-Schamoni-Dokumentation „Abschied von den Fröschen“ in Kürze wieder im Handel zu bekommen. Von den Musenblättern sehr empfohlen und mit unsrem Prädikat, dem Musenkuß ausgezeichnet.
 

Ulrich Schamoni und Anna Henkel © Schamoni Film & Medien GmbH

Mein Leben
Mein Leben, ein Leben ist es kaum,
Ich gehe dahin als wie im Traum.
Wie Schatten huschen die Menschen hin,
Ein Schatten dazwischen ich selber bin.
Und im Herzen tiefe Müdigkeit,
Alles sagt mir: Es ist Zeit ...
 
Ulrich Schamoni - „Chapeau Claque“
Die fröhliche Beichte eines Faulenzers (DVD)
© 1974 Ulrich Schamoni
 
Buch & Regie: Ulrich Schamoni – Kamera: Igor Luther - Schnitt: Regine Heuser - Kamera-Assistenz: Detlev Geier, Wolfgang Knigge – Licht: Dieter Ahlich - Ausstattung und Kostüme: György Janoschka – Bühne: Dieter Ahlich – Ton: Rainer Lorenz, Christian Moldt - Ton-Assistenz: Helmut Röttgen – Mischung: Rainer Lorenz – Aufnahmeleitung: Stefan Abendroth – Produktionsleitung: Regina Ziegler – Produzent: Ulrich Schamoni, Regina Ziegler – Produktionsfirma: Bärenfilm GmbH
Besetzung: Hanno Gießen (Ulrich Schamoni) - Anna (Anna Henkel) - Annas früherer Freund (Jürgen Barz) - Antiquitätenhändler (Peter Ehlebracht) - Unternehmer (Karl Dall) - Hausinteressent (Ingo Insterburg) - Hannos Freund Draeger vom Industrieverband (Wolfgang Neuss) - Sicherheitsverkäufer (Peter Schlesinger) - Annas Schwester (Erika Skrotzki) - Putzfrau (Alix Buchen) - Lebensmittellieferant (Rolf Zacher)
 
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