Mein Oktobertagebuch

von Erwin Grosche

© Verlag Schöning & Co.

Mein Oktobertagebuch
 
Wer in Deutschland Briefe verschicken will, muß ab Januar tief in die Tasche greifen. Die Deutsche Post gab bekannt, daß das Briefporto erhöht werden soll. Sie sei zu diesem Schritt gezwungen worden, weil kaum noch Menschen Briefe schreiben. Die Preiserhöhung wird sicherlich die Lust am Briefeschreiben wecken. Auch Protestbriefe muß man frankieren. Ich habe zuerst gelesen, daß der „Papst“ das Briefporto erhöhen will und war nicht wirklich überrascht. Die Kirche muß auch überlegen, wie sie nach den Massenaustritten ihrer Gläubigen durchkommen will. Natürlich bemerkte ich schnell, daß nicht der „Papst“, sondern die „Post“ das Porto erhöhen will. Das paßt wieder. Das Amalthea Theater hat ebenfalls die Eintrittspreise erhöht, da sowohl aus Wohlfühlgründen weniger Zuschauer im Raum sitzen sollen, als auch noch dem auftretenden Künstler eine angemessene Gage gezahlt werden soll. Das Amalthea ist nicht nur ein Theater, es ist ein angstfreier Raum. Ein kleines mutiges Unternehmen, das anders ist und sich um Publikum und Künstler sorgt.  Die Portoerhöhung der Post wird zum Glück erst im Januar 2022 kommen. Da habe ich noch drei Monate Zeit, um ganz ganz viele Briefe zu versenden, und kann die alten Portogebühren und Briefmarken nutzen. Das wird die Schneckenpost ärgern, wenn sie mitbekommen hat, wie viel Geld ihnen durch die Lappen gegangen ist.
Ich habe auch überlegt, daß ich schon Briefe für das nächste Jahr verschicken werde. Man müßte nur darauf den Hinweis hinterlassen „Bitte erst zu Weihnachten 2022 öffnen“. So hätte ich schon meine gesamte Weihnachtspost für das kommende Jahr erledigt, eine Unmenge Geld gespart und könnte davon wiederum Geschenke kaufen. Ich werde auch jetzt schon dem Ortsvorsteher von Dörenhagen einen Brief zum Jubiläum 2022 schicken, den er aber erst am Festwochenende zum 30. September öffnen darf. Der wird sich freuen, gerade jetzt, wo unsere Beziehung in eine entscheidende Phase gekommen ist.
Apropos Angst. Kennen sie noch das Savoy? Wenn man in dem Nachtclub gelandet war, dann hatte man Abschied genommen von den Erziehungszielen der Eltern. Hier wunderte man sich nur, daß die Sünde so langweilig war. Noch heute weckt der Durchgang  an der Westernmauer diese Erinnerung, denn der Weg zur Hölle ist dunkel und schmutzig. Im Paderborner Kulturausschuß bezeichneten Mitglieder diesen Durchgang als Angstraum und beschlossen, dort eine Licht-Kunst-Wand anzubringen, um Geborgenheit und Zuversicht an diesem dunklen Fleck auftauchen zu lassen. Ich hoffe, daß diese digitale Ablenkung den Schatten des Savoys tilgen kann. Ein angstfreier Raum entsteht selten durch einen „Stadtplan, das Busliniennetz, oder andere wichtige Orte“, die in eine abstrakte Lichtzeichnung eingebettet werden. Man darf also gespannt sein, denn die Angst stirbt zuletzt. Ich hätte dort ein Kreuz hingestellt, ein kirchliches Warnsystem, das aufpaßt und behütet. Geeignet wäre auch eine Statue des heiligen Liborius, der nicht nur bei Steinleiden angerufen werden kann, sondern auch hilft, wenn die Stadt zur Betonwüste verkommen soll. Mag also sein, daß dieser Ort nur dem Teufel gefallen wird, und der freut sich schon auf den neuen Bahnhof.      
 
 
© 2021 Erwin Grosche