Brachial

James Lee Burke – „Keine Ruhe in Montana“

von Frank Becker

Brachial
 
Problemlösungen mit brutaler Gewalt
und viel Country-Music
 
Wir wissen aus James Lee Burkes bisher hier vorgestellten Romanen, daß er die harte Tour der sanften vorzieht und seine Helden, die er ja auch immer als Anti-Helden zeichnet, keine Chorknaben sind. Wir kennen Detective Dave Robicheaux und seinen besten Freund und früheren Kollegen Clete Purcel, der jetzt Privatdetektiv ist, als Haudraufs, die auch gerne mal am Rande des Gesetzes balancieren. Und wir erwarten, wenn wir einen seiner umfangreichen Romane (unter 500 Seiten tut er es auf gar keinen Fall) zur Hand nehmen, eine ganz spezielle Mischung aus Hardboiled-Krimi,  epischen Landschaftsschilderungen und einer Nabelschau der Protagonisten, die jedem Analytiker eine griffige Vorlage für ein Gutachten liefern könnte.

In James Lee Burkes neuem Roman „Keine Ruhe in Montana“ bekommen wir das alles, plus einen Eindruck von einer amerikanischen Befindlichkeit, die uns das Land der Pioniere nicht unbedingt erstrebenswert erscheinen läßt. Das Buch folgt in Burkes Chronologie eigentlich dem hier schon vorgestellten großartigen „Sturm über New Orleans“, der die Zerstörung von New Orleans durch den Hurrikan Katrina zum Inhalt hat. Detective Dave Robicheaux gönnt sich und seiner Frau Molly eine Auszeit im Nordwesten der USA, in der Weite des dünn besiedelten Treasure State Montana. Gemeinsam mit Molly und Clete Pucel will er sich im Blockhaus auf einer Ranch beim Fischen erholen.
Daß Clete ausgerechnet dort auf ein paar ausgemacht fiese Gangstertypen trifft, die er aus seiner Zeit nach dem Polizeidienst kennt, macht all die Erholungspläne zunichte, denn die zwielichtigen Gestalten gehören zum Troß des Ölmillionärs Wellstone, der offenbar nicht der ist, der er zu sein scheint.

Als dann auch noch in der Nähe der Farm zwei Studenten brutal ermordet aufgefunden werden, es zu einem weiteren Doppelmord kommt und Clete um ein Haar von dem selben Mörder getötet wird, kann sich Robicheaux nicht heraushalten und nimmt Ermittlungen auf. Und es fließt weiteres Blut. Doch Burke webt nicht nur diesen Handlungsfaden. Er läßt den sadistischen Gefängniswärter Troyce Nix auftreten, der von dem mißhandelten Häftling Jimmy Dale Greenwood, der früher Rodeo-Reiter und Country-Sänger war, nahezu umgebracht wird, läßt diesen fliehen und in Montana untertauchen. Er führt den üblen selbsternannten Pastor Sonny Click und Wellstones bildschöne Ehefrau Jamie Sue ein, die früher einmal Topless-Tänzerin und ebenfalls erfolgreiche Country-Sängerin war, ein Kind von J.D. hat und in Montana lebt. Er skizziert mit plastischen Strichen die sympathische Außenseiterin Candace Sweeney, die auf Nix trifft und die FBI-Agentin Alicia Rosecrans, die Clete Purcel ins Visier nimmt. Ein Panoptikum von Verlorenen, Hungrigen, starken Menschen, schrägen Figuren, Gescheiterten und miesen Charakteren. Vieles ist Klischee. Daß alle sich mehr oder wenigen zufällig in Schlagdistanz in Montana treffen, einem US-Bundesstaat, der so groß wie Deutschland ist, ist schon arg konstruiert. Na ja, ein Roman, da darf das sein. Es gibt noch viele weitere Tote, jede Menge Blut, Tritte, gebrochene Nasen, zerschlagene Gesichter und gedemütigte Menschen.
In all die brutale Gewalt und das Gewissens- und Gefühlschaos der Hauptfiguren webt James Lee Burke drei „unmögliche“ Liebesgeschichten ein, deren glückliches Ende man die ganzen 571 Seiten hindurch nicht beschreien mag, zu schräg erscheinen sie. Ein bißchen zu viel menschliche Läuterung à la Saulus/Paulus ist drin, viel Country-Music für Kenner, und am Ende siegt unter ständig gehaltenem Spannungsbogen die Gerechtigkeit. Wer nach all dem Blutrausch dem Epilog das Prädikat „Friede, Freude, Eierkuchen“ zumißt, liegt nicht ganz falsch.
 
James Lee Burke – „Keine Ruhe in Montana“
Ein Dave Robicheaux-Krimi, Band 17
Originaltitel: Swan Peak, Aus dem Amerikanischen von Bernd Gockel
© 2021 Pendragon Verlag, 571 Seiten, Klappenbroschur - ISBN: 9783865327475
24,- €
 
Weitere Informationen: www.pendragon.de