Was ist's mit den „Duckmäusern“?

Changierende Bedeutungen eines alten Schmähwortes

von Heinz Rölleke

Prof. Dr. Heinz Rölleke - Foto © Frank Becker
Was ist's mit den „Duckmäusern“?
 
Changierende Bedeutungen eines alten Schmähwortes
 
Von Heinz Rölleke
 
Am 14. Juli 2021 findet sich in der Neuen Zürcher Zeitung anläßlich der aktuellen  Corona-Debatten ein längerer Artikel mit der Überschrift „In Deutschland breitet sich ein stilles Duckmäusertum aus.“ Das selten gewordene Wortungetüm taucht also hier und da noch auf. Seine frühere und heutige Bedeutung dürfte nicht jedem ohne weiteres klar sein, Einige Belege und deren Erklärung können wohl etwas zur Erläuterung beitragen.
 
In Albert Lortzings sehr beliebter und entsprechend oft aufgeführter Oper „Zar und Zimmermann“ (Premiere 1837) bildet ein neckisches Duett der Liebesleute Marie (Nichte des dumm-stolzen Bürgermeisters Van Bett) und Peter Iwanow (aus Russland stammender Zimmermannsgeselle) den siebten Auftritt. Van Bett hatte erfahren, daß sich Zar Peter I. incognito in seiner Stadt Saardam aufhielt und sicher geglaubt, ihn im Zimmergesellen Peter entdeckt zu haben. Aus diesem Irrtum ergeben sich einige Verwicklungen. Seine Nichte tut zum Schein so, als halte sie diese kapitale Fehldeutung für richtig und stürzt damit ihren Liebhaber für eine Weile in Verwirrung. „Hör auf, Marie, laß die Possen, ich bin ja keine Majestät“. Im weiteren Diskurs versucht Peter die galante Hofsprache zu imitieren, woraufhin ihn Marie des Umgangs mit vielen Damen verdächtigt:
                       
                        „Das klingt sehr galant.
                        Majestät gehen wohl sehr viel um mit Damen?“
                        „Sehr viel, das tu ich, hab ich stets getan.“
 
Marie wird eifersüchtig und vergißt für einen Augenblick ihre vorgespielte Rolle; als er sich daraufhin wieder so harmlos gibt, wie er tatsächlich ist, schimpft sie:
 
                        „Da seht doch, da seht doch den Duckmäuser an!“
 
Sie drohen einander wechselseitig:
 
                        „Wart nur! Später werd ich's dir gedenken,             
                        Was ich jetzt leide, die Spielerei.“
 
Nun macht Marie ihren Zimmermann so eifersüchtig, daß er sie seinerseits anfährt und dann ihre Worte wiederholend resümiert:
 
                        „Da seht doch, da seht doch die Duckmäusrin an.“
 
Beide bedenken sich in dem halb ernsthaften Zwist mit demselben Schmähwort, wobei Iwanow sogar eine Wortneubildung gelingt. Die Bezeichnung „Duckmäuserin“ findet sich in keinem Lexikon und würde heute wohl auch von den Genderverfechter: _*innen mit Empörung verworfen.
 
Was meint die Bezeichnung bei Lortzing und auch sonst überhaupt? Die wechselseitige Bezichtigung, das Gegenüber benehme sich 'duckmäuserisch', kann keine schwere Beleidigung sein, denn Marie und Iwanow sind und bleiben einander in treuer Liebe verbunden und wollen diese Verbindung zu keiner Zeit ernsthaft gefährden – was übrigens auch in der musikalischen Umsetzung der beiden Phrasen durch den Dichterkomponisten Lortzing zum Ausdruck kommt. Die an sich herabsetzende Charakterisierung eines Gegenüber als „Duckmäuser“ wird denn auch dem Beschimpften nicht häufig direkt ins Gesicht gesagt, sondern eher in Reden über ihn gebraucht. 'Er, sie ist ein Duckmäuser“ - ja. Aber 'Du oder Sie Duckmäuser“ - das ging wohl jederzeit eher schwer über die Lippen, wie es sich denn auch in Lortzings Duett erweist.
 
Das Wort „Duckmäuser“ ist ein Kompositum, das aus dem von 'Maus' abgeleiteten Substantiv „Mäus-er“ (vgl. auch 'Mäuser-ich') und dem von 'Sich ducken' abgeleiteten Morphem „Duck“ gebildet ist. „Ducks“ ist in Wanders Sprichwörterlexikon in der durchgängigen Bedeutung 'Hinterlist', 'Betrug' belegt. Die Etymologie ist insoweit eindeutig: Ein „Duckmäuser“ ist ein Mensch, der sich wie eine schuldbewußte Maus wegduckt. In Zeiten, als man das Morphem „Duck“ mit „Tücke“ in Verbindung brachte (die Form „Tückmäuser“ ist bis zum 18. Jahrhundert häufig belegt), wurde der Tadel an der Haltung eines Mannes schärfer, der nun etwa als mit 'Heimtücke' (wie auch in der ähnlichen Bezeichnung „Heimtücker“) identisch aufgefaßt wird: jemand, der seine Tücke heimlich, sozusagen aus dem Hinterhalt, auslebt. Die zuweilen geäußerte Annahme, die Bezeichnung sei aus „Tücke und Meister“ zusammengesetzt, ist wohl ebenso unhaltbar wie Adelungs vorsichtige Vermutung, der zweite Wortteil könne auf das veraltete Verb „musen, nachdenken, nachsinnen“ zurückweisen, dessen Bedeutung aber in neuerer Zeit eher als „mausen“ (im Sinn von 'wegnehmen', 'stehlen') verstanden wird: Jemand, der geduckt, versteckt etwas stiehlt. Daß man die Urverwandtschaft des Wortes mit „Maus“ noch lange spürte, zeigt sich wohl auch an dem schnell sprichwörtlich gewordenen Romantitel John Steinbecks aus dem Jahr 1937 „Von Mäusen und Menschen“.
 
Das Wort „Duckmäuser“ ist bei so bedeutenden Schriftstellern wie Heinrich Heine, Gottfried Keller, Gustav Freytag oder Friedrich Nietzsche im Gebrauch. Um die genauere Intention des Schmähwortes zu verstehen, muß man in jedem Fall den Kontext in Betracht ziehen: eine reizvolle und erstaunlich ergebnisreiche Recherche für jeden genauen Leser. Dabei kann man die wichtigsten einschlägigen Lexika zu Rate ziehen, aus denen hier eine kleine Auswahl geboten sei:
 
In Johann Christoph Adelungs Wörterbuch von 1774: „D. eine verächtliche Benennung eines listigen verschlagenen Menschen, der seine Schalkheit zu verbergen weiß. Zuweilen auch eines Menschen, der nicht frey aus den Augen sieht.“
 
Wilhelm Grimm definiert im Deutschen Wörterbuch von 1860 wie folgt: „Das wort D. scheint von 'duckmaus', die sich versteckt, abzustammen und bezeichnet einen heimlichen, hinterlistigen, verstockten, kopfhängerischen, tückischen, betrügerischen menschen; vgl. in Uhlands 'Volksliedern': wir tuon nit wie ander tockmeuser, die heimlich schinden und schaben'.“
 
Friedrich Kluge schreibt 1883 in seinem Etymologischen Wörterbuch: „D. 'Leisetreter'. Zu mhd. Tockelmusen 'Heimlichkeit treiben' zuerst bei Brant 'Narrenschiff' von 1494. In neuerer Anlehnung an 'ducken'; mhd. 'musen' ist 'mausen, (diebisch) schleichen'.“
 
Es sieht so aus, als ob das alte Schmähwort allmählich ausstürbe und auch nicht mehr recht verstanden würde. Dann könnte man mit Mephisto sagen, der Name sei von den Menschen „schon lang' ins Fabelbuch geschrieben; den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben.“ Das Wort scheint zu verschwinden, von Duckmäusern aller Schattierungen aber gibt es, wenn nicht alles täuscht, heute so viele wie selten zuvor.
 
 
© Heinz Rölleke für die Musenblätter 2021