Erwin Grosche - Foto © Frank Becker   Schöne neue digitale Heimat   Meine Nachbarn, Familie Hochstetter, haben jetzt einen Husqvarna Automower 415X. Einen Mähroboter, der manchmal über ihren Rasen huscht und dabei kaum einen Ton von sich gibt. Er wirkt so herablassend, als wäre er überqualifiziert und würde lieber den Rasen des SC Paderborn mähen. Ich kann mich noch erinnern, wie Herr Hochstetter hinter seinem Rasenmäher auftauchte und haste nicht gesehn, jeden Halm spüren ließ, was eine Harke ist. Das war ein erhabenes Bild. Hier konnte der Hüter des Hauses beweisen, wer die Krönung der Schöpfung ist. Gestern besuchte ich Bäcker Lange im Combimarkt und erfuhr erst, als ich mich schon für ein Brot, vier Brötchen und einen Erdbeer-Rhabarber-Streuselkuchen entschieden hatte, daß das Kartenlesegerät defekt ist. „Haben sie Bargeld bei sich?“ „Was ist denn nochmal Bargeld?“ Ich war verzweifelt. Sollte ich vielleicht einfach weglaufen und den Erdbeer-Rhabarber-Streuselkuchen auf der Flucht vertilgen? Wie geht man mit solchen Enttäuschungen um? Die digitale Welt ist nicht nur unperfekt, sondern auch erschreckend spießig. Es war immer die Unvollkommenheit, die den Menschen kreativ und menschlich werden ließ. Nun sind wir vollauf damit beschäftigt, uns in einer Knopfdruckwelt unter der Herrschaft eines vorgekauten Systems gängeln zu lassen. Auch Kinder setzt man, wenn sie nerven, vor den Fernseher. Wir wissen noch, was glücklich macht, aber wir wissen auch, daß Frieden besser ist als Krieg. Scheint so, als kämen wir mit Klugheit nicht mehr weiter. Kann es sein, daß die Ampel an den Südring-Schrebergärten den Straßenverkehr von selbst stoppt, obwohl keiner über die Fußgängerampel will? Da stehen dann die Autofahrer mit ihren bunten Autos vor der Fußgängerampel und müssen zusehen, wie keiner über den Zebrastreifen geht. Ist das nicht demütigend? Man kauft doch keinen Porsche, um dann mit 30 km/h durch eine Spielstraße zu fahren. Das sind doch Probleme, die der Paderborner Ethikrat behandeln sollte. Ich fragte jetzt einen jungen Softwareentwickler, welchen Unterschied es zwischen einem „Lime Scooter“ und einem „Tier Scooter“ geben würde. Er sagte mir, daß man mit dem Lime Scooter bis nach Elsen fahren kann. Ich dachte, das ist großartig, aber was soll ich in Elsen? Paderborn ist digitale Vorzeigestadt, hier kann man eine Parkuhr mit einem Smartphone aufladen. Was ist denn eine digitale Heimat? Steht da ein Leuchtturm und der Klatschmohn begrüßt uns im Sommer? „Was bekommst du, wenn eine Spinne über deinen Monitor rennt?“ „Eine Webseite.“ Herr Hochstetter blickt nun manchmal aus dem Fenster und schaut dem Husqvarna Automower 415X beim Rasenmähen zu, manchmal sitzt er auch vor dem Bildschirm seines Computers und genießt dort die Aufzeichnung davon.    Erklärungen für Nichtpaderborner: a. Paderborner Ethikrat: Seit 2019 hat die Stadt Paderborn einen „Ethikrat für die Digitalisierung“ eingerichtet. Der Ethikrat berät und begleitet die Stadt auf dem Weg der Digitalisierung … b. „Lime Scooter“ und „Tier Scooter“: E-Scooter-Ketten, die sich in Paderborn breit gemacht haben. c. Elsen: Kleiner Ort in der Nähe von Paderborn © 2021 Erwin Grosche