Von der Schwierigkeit des Teilens

Dezimal- und Duodezimalsysteme

von Heinz Rölleke

Prof. Dr. Heinz Rölleke - Foto © Frank Becker

Von der Schwierigkeit des Teilens
 
Dezimal- und Duodezimalsysteme
 
Man geht allgemein - und wohl mit Recht - davon aus, daß die frühen antiken europäischen Zähl- und Rechensysteme ihren Ursprung teils bei den Ägyptern und Babyloniern hatten, deren Duodezimalsystem (zwölfer System) durch phönizische Vermittlung zu den alten Römern gelangte, während das heute allenthalben dominierende Dezimalsystem (zehner System) indisch-arabischen Ursprungs ist und sich später im römischen Weltreich durchsetzte. Unter den vielen Erklärungsversuchen, worauf die uralten Zählweisen gründeten, haben die Hand – und Fingertheorien die meiste Zustimmung gefunden. Zum einen ging man von den zehn Fingergliedern aus – unter anderem weil in älteren Zahlenbezeichnungen die Fünf sich etymologisch auf „eine Hand“, die Zehn auf „zwei Hände“ zurückführen läßt. Das Duodezimalsystem erklärt sich ebenfalls durch Bezug auf die Hände: Der Daumen fungiert als Stützglied für die auf seiner Kuppe abgezählten Fingerglieder; so ergibt sich die Zahl Zwölf aus vier (Zeige- bis Kleiner Finger) mal jeweils drei Gliedern der einzelnen Finger.
 
Dank seiner Dominanz im römischen Reich setzte sich das Zehnersystem auf die Dauer in ganz Europa durch, wobei im Mittelalter das Zwölfersystem konkurrierte, von dem Reste bis heute, zum Beispiel in weiterhin allgemein bekannten Maß-, Gewicht- und Geldeinheiten in England oder in deutschen Bezeichnungen wie „Dutzend“ (für 12) oder „Gros“, dänisch „Tylt“ (für 12 x 12) - zum Teil immer noch im Schwange und jedenfalls sprachlich nachweisbar sind.
 
Bei einem Vergleich des Duodezimal- mit dem Dezimalsystem stellt sich schnell heraus, daß ersteres dank seiner vielfachen Teilmöglichkeiten (12 ist ohne Rest teilbar durch 6, 4, 3 und 2) in manchen
Anwendungsbereichen dem dekadischen System (10 ist nur teilbar durch 5 und 2) überlegen ist.
 
Das zeigt sich unter anderen bei Erbteilungen unter bestimmten Testamentsverfügungen; dafür ein vergnügliches Beispiel.
 
Ein schottischer Schafhirt hat drei Söhnen seine kleine Schafherde testamentarisch vermacht und bestimmt, der Älteste solle 50% (= die Hälfte) erben, der Zweitgeborene 25% (= ein Viertel) und der Jüngste 6% (= 16,66) erben, und sie sollten gerecht teilen.
 
Als die hinterbliebenen Söhne ihr Erbe in Empfang nehmen sollten, war die Verlegenheit groß, denn es gab nur elf Schafe zu verteilen.
 
Man machte sich ans Rechnen und kam zu keinem überzeugenden und gerechten Ergebnis, denn nach dem Wortlaut des Testaments hätte der Erstgeborene die Hälfte von 11 Schafen (also 5 und 1/2 Stück) erben sollen, der Zweite ein Viertel (also 2 und ¾ Stück) und der Jüngste ein Sechstel (also 1,66... Stück) bekommen müssen.
 
Man wußte sich keinen Rat, und es drohte zum obligatorischen Erbstreit zu kommen. Als Schiedsmann wählte man einen Lehrer, der offenbar nicht nur mathematisch gut beschlagen, sondern auch listig war.
 
„Paßt mal auf, Ihr Drei: Ich leihe Euch ein Schaf aus meinem Bestand, dann teilt ihr die zwölf Schafe unter Euch gemäß der Testamensvorschrift und danach gebt Ihr mir mein Schaf zurück.
 
Die Erben glaubten sich zunächst mit einem scheinbar so absurden Vorschlag verulkt, aber mangels Alternativen probierte man es, dem Schiedsspruch zu folgen.
 
Der Älteste erhielt die Hälfte von zwölf Schafen, nämlich sechs; der Zweite ein Viertel, nämlich drei; der Jüngste ein Sechstel, nämlich zwei. Und siehe da, ein Schaf blieb bei dieser Teilungsaktion übrig und konnte dem klugen Schulmeister zurück gegeben werden.
 
Ein mathematisches Wunder? Für den, der daran glauben mag, ganz gewiß. Der Skeptiker sollte nachrechnen, ob einer der Erben bei dieser merkwürdigen Teilungsaktion ein Plus erzielt oder weniger bekommen hat, als ihm tatsächlich gesetzlich zustand.
 
Der geneigte Leser mag sich für eine der beiden Lesarten entscheiden oder beide gelten lassen. Auch im Bereich der rechnenden Mathematik gibt es nicht nur genaue eindeutige Ergebnisse.
 
 
© Heinz Rölleke für die Musenblätter 2021