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 Vor 100 Jahren wurde der Dramatiker Wolfgang Borchert geboren. Vor  24 Jahren spielte das junge Wuppertaler Theater „neue wuTh“ anläßlich  seines 50. Todestages sein Drama „Draußen vor der Tür“. Wolfgang  Borcherts Geburtsstag jährt sich heute zum 100. Mal, weshalb wir die vor 24 Jahren veröffentlichte Rezension noch einmal aufnehmen.  Weil wir selber drinnen sind... „Draußen vor der Tür“, Wolfgang Borcherts Drama um Schuld und Verantwortung, aufgeführt zu seinem 50. Todestag.  Deutschland  liegt in Trümmern, als 1947 Borcherts Stück an den Hamburger  Kammerspielen uraufgeführt wird. Millionen von Soldaten sind im Krieg  geblieben, andere kehrten zurück: heimatlos, entwurzelt, an Leib und  Seele verkrüppelt - „Heimkehrer“. Und schon sind Kriegsgewinnler am  Werk, welche es immer geben wird, die am Leid nicht teilhaben, die auch  auf der dünnsten Suppe als Fettaugen schwimmen. Auf diese  Angepaßten trifft Beckmann, 24jährig, der von der Ostfront ein steifes  Bein und eine wunde Seele mitgebracht hat, Beckmann, der schwer am  Grauen des Krieges trägt, der Last einer ihn überfrachtenden  Verantwortung, Beckmann, der die zerstörte Welt durch eine  Gasmaskenbrille sieht. Er findet sein Bett besetzt, seine Frau von einem  anderen genommen, seine Eltern tot und die Welt seinem Schicksal  gleichgültig gegenüberstehend. Der Tod will ihn nicht, die Elbe wirft  den Müden wieder an Land. Er schleppt sich weiter, zerquält von  Erinnerungen und Fragen, auf die er keine Antworten bekommt, beladen mit  dieser ungeheuren Verantwortung für den Tod von elf Kameraden, die ihm  niemand abnehmen will. Während andere schon wieder den Fuß in der Tür  haben bleibt er draußen. Das Stück  hat eine beeindruckende Aufführungsgeschichte und jeder, der es auf den  Spielplan setzt, muß sich dem nachwirkenden Ruhm stellen, den die  ersten Beckmann-Darsteller (bis heute ungeschmälert) an ihre Fahnen  heften konnten: Hans Quest, dem Borchert das Drama widmete, 1947 in  Hamburg, Paul Edwin Roth 1948 in Berlin und in der Verfilmung 1948 Karl  John. Ohne  Scheu, dafür mit Chuzpe und Verstand und dem Gefühl für den richtigen  Zeitpunkt tat das nun die „neue wuTh“ 1997 als erste Bühne Deutschlands  im 50. Jahr nach Borcherts Tod. Kühn strich Regisseur Andreas Windhues  den Text zusammen - „Frevel!“ mochte man schreien, aber nein, es gelang  vorzüglich, ohne entscheidende Verluste. In drei Monaten erarbeitete er  mit seinem Ensemble eine atemberaubend dichte Fassung, der man höchste  Qualität und Gültigkeit bescheinigen kann. Seine Schauspieler leisten  Beachtliches in der beklemmenden Atmosphäre des Aufführungsortes  „U-Club“, der wie maßgeschneidert Kulisse ist, ohne Kulissen zu  benötigen. Stefan Otto  überragt, er gibt - nein verkörpert fast schmerzlich einen Beckmann,  der unter die Haut geht, ergreift, mit-leiden läßt. Borchert, der einen  Tag vor der Uraufführung 1947 starb, war von Quest tief berührt - ich  behaupte, Otto hätte seine Zustimmung ebenfalls gefunden. Vanessa Radman  legt das Mädchen frivol an, fast nuttig, eine interessante Sicht, nicht  unglaubhaft, und legt in der zur Prunksitzung umgestalteten  Kabarett-Szene ein tolles Tanzmariechen hin. Die Choreographie besorgte Dagmar Beilmann.  Gegen ihre Mitspieler etwas farblos kamen Anja Kerspe, als Frau Kramer  zu ruppig, und Rolf Horvath weg. Den Oberst bajuwarisch zu karikieren  war keine so gute Idee, zumal man einen Dialekt beherrschen sollte, wenn  man ihn einsetzt. Ein weiteres Bonbon aber (besser: ein Knallbonbon)  bescherte Dirk Häger  in seiner unerhörten Darstellung des Kabarett-Direktors, hier als  schrille Parodie auf den eklig-zwangslustigen rheinischen Karneval  gegeben, der Beckmann gnadenlos vor die Tür witzelt. Was Häger in diesem  schweren Part leistet, stellt ihn gleichwertig neben Otto. Die ergriffene Stille nach dem Schluß wich brandendem Applaus, der kaum enden wollte. Mit Recht. Ein großartiger Theaterabend.  Frank Becker Premiere 1997 neue wuTh: „Draußen vor der Tür“  | 


