Herr Horand schlägt die Harfe

von Alma Johanna Koenig

Herr Horand schlägt die Harfe
 
Der Abend war milde, und die Nacht kam lau. Der Wind ging in warmen Stößen und brachte den Duft des Thymians von den weiten, irischen Schafweiden. Niemand ging schlafen, nicht Iren noch Hegelinge. Schwerter klirrten hier und dort im Dunkel auf, denn überall saßen oder lehnten Männer, sprachen gedämpft und langsam oder sahen zurückgelehnten Hauptes zum weitbestirnten Himmel auf. Irgendwo sang ein Nachtvogel süß, als wollte es die kleine Brust zersprengen.
Da begann Herr Horand die Harfe zu schlagen.
Als er den ersten Griff tat, da schwiegen, die da Zwiesprache hielten. Als er den zweiten Saitengriff tat, da wandten den Kopf nach ihm, die da träumten.
Als er den dritten Griff tat, begann er zu singen, und wie er sang, verstummte der kleine Nachtvogel.
Zauber war auf seine Lippen gelegt. Der Wipfel der Burgesche spielte nicht mehr im Wind, wie zu Silber erstarrt hingen die Blätter im Mondschein. Der Brunnen lief nicht, und die Katze schnurrte nicht mehr, die ein Hegeling gestreichelt hatte.
Von einem Manne sang Horand, der sein Schicksal gesehen hat. Schön ist sein Schicksal, wie nur eine Jungfrau auf Erden schön ist. Sein Schicksal ist Sehnsucht. Sehnsucht ist sein Grab. Denn nie wird er sie gewinnen … Horand schwieg.
Da war die Nacht kühl von Tau, und jäher Wind sprang auf. Der Brunnen rauschte und sprühte kalte Tropfenschauer, die Katze kratzte den Mann feuerrot über die ganze Hand, daß er das Tier fortschleuderte. Krrr - machte es böse.
Horand, der Däne, schlug den Mantel um sich und ging. Da verging auch der weiße Schein am Fenster droben - wie vom Nachtgewand einer Lauschenden. Schön-Hilde aber schlief nicht in dieser Nacht. Sie lag und horchte, ob der blonde Däne nicht wieder singen wolle, und immer, wenn der Nachtigallenschlag neu begann, stand ihr Herz still, denn sie meinte: Nun wäre er es. Aber Horand sang nicht wieder in dieser Nacht und nicht in den folgenden Nächten. Und der Königstochter Herz war wirr und schwer, sie dachte nichts als Horands Lied. Es summte ihr in den Ohren, es lag ihr auf den Lippen, und doch vermochte sie es nicht zu singen und keiner der irischen Spielleute, die sie befragte.
Unter den Frauen, die Hilde dienten, War eine ihr vor allen lieb, Hildburg mit Namen, des Königs von Portugal schöne Tochter. Früher als die andern Jungfrauen alle, ersah sie der Freundin Ungemach, und sie berieten nun heimlich beide, wie es wohl zu geschehen vermöchte, daß Horand wieder sänge.
Und als König Hagen eines Tages bei seiner lieben Tochter saß, da faßte sie Mut und bat ihn und streichelte zag seine Wangen: „Liebster Herr Vater, ich bitte Euch von Herzen, heißet doch Horand noch einmal für mich singen!“ Hagen aber sah wohl, wie ihre Lider auf und nieder schlugen und wie schwer ihr Atem ging, und er fühlte jäh den Unmut aufsteigen, der ihn so furchtbar überkam.
„Soll ich einen fremden Fahrenden mit Fußfall zu meiner Tochter laden?“, schrie er und warf krachend die Türe hinter sich zu, daß alles Geräte bebte.
Da ward der schönen Hilde zumute, als müsse sie sterben, wenn sie Horand nicht wieder singen hören könnte. Und sie weinte so ratlos und bitterlich, daß ihr Jammer die Freundin Hildburg rührte und sie einen getreuen Kämmerer nach Horand sandte, daß er zur Nacht kommen und vor Hilde singen möge.
Als nun die Nacht kam, führte der Kämmerer Horand durch geheime Gänge bis in den Saal, darin eine einzige Fackel flammte. Da saß, verloren im halben Dunkel, das königliche Kind, voller Angst vor des Vaters Zürnen, und ihr zur Seite kniete Hildburg.
Horand neigte sich stumm und empfing stummen Gruß. Dann begann er die Harfe zu schlagen, sacht, ganz sacht, und alle, die schliefen, dehnten sich lächelnd im Traum.
Halblaut begann er zu singen, wie eine Mutter ihr Kind einsingt, und all die Zeit wandte er den Blick nicht von Hildes Gesicht, die reglos saß, mit lauschend geöffneten Augen und Lippen.
Eine Weise von Amilé sang er, die ihn eine Sarazenin einst in heißer Nacht gelehrt hatte und die kein Christenmund noch vor seinem gesungen.
Und während er sang, blühte eine Rosenknospe auf, die da im Glase stand. Und während er sang, kam die scheue Hinde aus dem Tannenwald hervor, ihr Junges neben sich, das voll heller Flecken war, als habe das Sonnenlicht sich in seinem Fellchen verfangen. Immer näher kam es heran, auf schlacksigen Beinen, und im vollen Mondlicht standen die Tiere beide, mit lauschend gedrehten Häuptern. Horand schwieg, und lange herrschte Stille in dem Saal, in dem die einzige Fackel flackte.
 
 
Alma Johanna Koenig