Ich verstehe wieder nur Bahnhof

von Erwin Grosche

Erwin Grosche - Foto © Frank Becker
Ich verstehe wieder nur Bahnhof
 
Aktuelle Ereignisse verlangen manchmal, daß man die Erfolge dieser Kolumne zurück spult. Ist es nicht ihr zu verdanken, daß es in Dörenhagen wieder Bargeld gibt? War es nicht auch diese Kolumne, die Bäcker Lange dazu bewegt hat, seinen Kopenhagener wieder in die Kuchenregale zu stellen? Wirklich erleichtert bin ich, daß die deutlichen Worte zum Neubau des Stadthauses entdeckt wurden und das Thema endlich vom Tisch ist. Nun muß ich in der NW lesen, daß alle meine Bedenken zum neuen Bahnhofsbau die Entscheidungsträger nicht erreicht haben. Was ist denn da passiert? Das sieht man doch, daß dieser Bahnhofsneubau häßlich ist und die Reisenden abschrecken wird. Fängt Umweltschutz nicht auch bei der Gestaltung der öffentlichen Gebäude an? „Die unterzeichnenden Parteien sprechen von einem Meilenstein auf dem Weg zur nachhaltigen Mobilitätsdrehscheibe.“  Parteien sprechen immer von Meilensteinen und Mobilitätsdrehscheiben, wenn dafür ein hoher Preis bezahlt werden muß. Auch ich habe mal einer Freundin die Vorteile unserer Trennung mit dem Satz erklärt. „Unsere Trennung ist ein Meilenstein auf dem Weg zur nachhaltigen Mobilitätsdrehscheibe.“ Ein Kompromiß ist eine Situation, in der halbwegs beide Seiten ihre Interessen durchboxen konnten. Was haben denn die Bewahrer von Tradition und Würde erreichen können? Oder waren sie gerade verhindert und mußten sich um die Gestaltung des Königsplatzes kümmern? Man verkauft dem Bauern eine Melkmaschine und nimmt dafür seine einzige Kuh als Anzahlung. Wie sah denn der erste Entwurf des Bahnhofs aus, wie das Gefangenenlager Guantanamo? Natürlich kann man durch die Gestaltung der Außenfassade den desaströsen Gesamteindruck mildern. Man könnte dort eine Uhr aufhängen. Gut kommen auch Sinnsprüche an, wie: „Wer im Glashaus sitzt, sollte zum popeln in den Keller gehen“.  Auf jeden Fall garantiere ich jetzt schon, daß dieser Bahnhofsbau bei den 100 schönsten Bahnhöfen NRWs nicht dabei sein wird. Das beunruhigende an diesem Neubau  ist das Akzeptieren der Mittelmäßigkeit. Solche Bauten verändern das „Wir-Gefühl“ und das  Schönheitsempfinden stumpft ab. Alle verkümmern in den gesichtslosen Metropolen. „Der zur Verwendung kommende beigefarbene Mauerziegel werde sich harmonisch ins Stadtbild einfügen“, hieß es bei der Vertragsunterzeichnung.  Entweder schafft man wiederkehrende Trost-Anker zu solchen Würdenträgern wie Rathaus, Dom und all unserer Kirchenpracht oder man schafft häßliche beigefarbene Aufenthaltsorte, die es nicht wert sind, dass man sie gern hat und für spätere Generationen abfotografiert, damit man unseren Umgang mit dem Leben in Erinnerung behält. Vielleicht wird diese Kolumne ausreichen, um alle Beschlüsse zu überdenken. Ich bin selbst eine Mobilitätsdrehscheibe und verirre mich schon mal. Gute Nacht Paderborn.
 
© 2021 Erwin Grosche