Sonntagabend, 20.15 Uhr

Siegfried Tesche – „50 Jahre Sonntagsmord“

von Frank Becker

Titelillustration: Oli Hilbring
Sonntagabend, 20.15 Uhr
 
Der Mord am Sonntag
 
Gestehen Sie: Auch in Ihrem eingespielten Lebensrhythmus ist dieser Termin fest verankert. Am Sonntagabend gibt´s den „Tatort“. Somit ist die Antwort auf die Standardfrage der Kommissare: „Wo waren Sie am Sonntag zwischen 20.15 und 21.45 Uhr?“ zementiert. Wohl kaum eine Krimi-Reihe war in der deutschen Fernsehgeschichte je so erfolgreich wie diese, mal abgesehen vom DDR-„Polizeiruf 110“. Nun ist der „Tatort“ 50 Jahre alt geworden, die Helden seiner ersten Jahre meist längst unter der Erde und leider zum Teil vergessen. Dabei waren die oft weit besser, kantiger, charaktervoller als manche der heute über den Bildschirm geisternden Ermittler. Das fing mit dem allerersten und bis heute vielleicht besten Film der Reihe überhaupt an, in dem Walter Richter 1970 als knorriger West-Kommissar Paul Trimmel illegal und unerschrocken in der DDR ermittelte. Andere Kriminalisten der alten Schule wurden in der Folge Klaus Schwarzkopf als leiser, gewitzter Flensburger Kommissar Fichte, Gustl Bayrhammer als urwüchsiger Münchner Oberinspektor Veigl, dessen Assistent Lenz, gespielt von dem legendären Helmut Fischer, 1982 als Kommissar übernahm, Hansjörg Felmy als kultivierter Oberkommissar Haferkamp in Essen, Dietz Werner Steck als meist mißlauniger Hauptkommissar Bienzle in Stuttgart, Günter Lamprecht als sensibler Berliner Hauptkommissar Markowitz (mit der besten Themamusik, „Markowitz Blues von Ulrich Gumpert) und das Duo Manfred Krug/Charles Brauer als die Hauptkommissare Stoever und Brockmöller in Hamburg. Unvergessen sind auch deren musikalische Einlagen, die dem Drama die Spitze nahmen. Grandios nicht nur in seiner Leibesfülle auch Fritz Eckhardt als Wiener Oberinspektor Marek. Das war stets solide „Whodoneit“-Krimikost. Apropos Musik: Die fesselnde Tatort-Titelmusik von Klaus Doldinger (übrigens mit Udo Lindenberg am Schlagzeug) ist ebenso unverzichtbar geworden wie der Vorspann mit Horst Lettenmayers Beinen, Händen und Augen und der markanten Papillar- und Fadenkreuz-Graphik. Wer das ändern will wie der Hilfs-Rambo Til Schweiger legt sich mit der gesamten „Tatort“-Gemeinde an. Und das sollte man besser lassen.
 
Heute setzen die beteiligten Sender grundsätzlich auf Ermittlerteams wie die Erfolgsduos in München, Köln, Wien, Weimar und Münster und trauen sich auch mal an nicht immer gelungene Experimente wie „Tod im All“ (Flop), „Babbeldasch“ (Flop) oder „Im Schmerz geboren“ mit Ulrich Tukur (Top). Kommissare kamen und verschwanden, manche waren Eintagsfliegen, andere Alkoholiker, Opfer von Ehescheidungen, Epileptiker oder psychische Wracks. Allzu oft, vor allem in den letzten Jahren, etablierten sich notorische Befehlsverweigerer mit gefährlichen Alleingängen (meist Frauen in gefährlichen Selbstfindungsprozessen) als aufgrund ihrer Störungen und persönlichen Probleme völlig dienstunfähige, im Grunde gemeingefährliche Anti-Helden - aber die Legende des Sonntagabend-Krimis lebt. Echten Polizisten und Kriminalisten gruselt es bei soviel Abkehr von der Realität. Da fragt sich manch einer, ob Film-Kommissare immer einen an der Klatsche haben müssen und sehnt sich nach soliden Figuren wie von Paul Esser, Klaus Höhne, Heinz Drache oder Heinz Schimmelpfennig dargestellt.

Siegfried Tesche hat (fast) alles was er, Sie und ich über den „Tatort“ und seine Geschichte (nicht) wissen in einem unterhaltsamen Bändchen zusammengefaßt: „50 Jahre Sonntagsmord“. Veritable Skandale, Skurrilitäten, bisher unveröffentlichte Anekdoten von Schauspielern, Regisseuren und Drehbuchautoren, Hintergrund-Informationen, Zahlen, Fakten, ein „Tatort“-Quiz und Zitate von und über Darsteller und Macher sind gutes Lesefutter. Der Cartoonist Oli Hilbring hat treffsichere Illustrationen beigetragen.
Das ist kurzweilige, interessante und amüsante Lektüre, die ich Ihnen nicht nur für den Sonntagabend (da müssen Sie „Tatort“ schauen) empfehlen kann.
 
Siegfried Tesche – „50 Jahre Sonntagsmord“
mit Zeichnungen von Oli Hilbring
© 2020 Lappan Verlag / Carlsen, 121 Seiten, gebunden - ISBN: 978-3-8303-6375-0
10,00 € (D) / 10,30 € (A) / 14,90 sFr (CH)
 
Weitere Informationen: www.lappan.de