Düsternis, Endzeit, Lebenslügen

Demaskierungen in Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“

von Frank Becker

Jens Kalkhorst, Angela del Vecchio - Foto © Joachim Schmitz

Düsternis, Endzeit, Lebenslügen
 
Demaskierungen in Edward Albees
„Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“
 
Inszenierung: Jens Kalkhorst – Co-Regie: Benjamin Breutel - Ausstattung: Rüdiger Tepel - Maske: Sandra Kremer – Assistenz: Linda Dörr, Kira Steffens - Fotos:Joachim Schmitz
Besetzung: Angela del Vecchio (Martha) – Jens Kalkhorst (George) – Svenja Dee (Honey) – Moritz Heiermann (Nick)
 
Zwei Uhr in der Nacht zum Sonntag. George und Martha - ein Geschichtsprofessor in nachgeordneter Stellung an einer unbedeutenden amerikanischen Universität und seine um einige Jahre ältere, attraktive Frau - sind gerade von einer Party bei Marthas Vater, dem College-Dekan, nach Hause gekommen, als es an der Tür klingelt. Martha hat noch zwei späte Gäste eingeladen: den stattlichen jungen, aufstrebenden Biologieprofessor Nick und seine wenig trinkfeste Frau Honey. Aber trinkfest muß man sein, wenn man George und Martha besucht.
 
Zwei auf den ersten Blick gänzlich gegensätzliche Paare prallen hier aufeinander: George (Jens Kalkhorst) und Martha (Angela del Vecchio), beide vom Leben enttäuscht und offenbar durch harte Drinks und gegenseitige Haßliebe noch eben so überlebensfähig - und Nick (Moritz Heiermann) und Honey (Svenja Dee), anscheinend in junger Harmonie, auf den zweiten Blick jedoch bereits am Anfang ihrer gesellschaftlich geplanten Ehe einem fatalen Irrtum unterlegen und auf dem besten Wege, so zynisch wie George und Martha zu werden. Was George an Zielen als Hochschulprofessor nie erreicht hat, was Martha als Frau versagt blieb, liegt als quälend düsterer Schatten über ihrem Leben und legt sich auf die nächtliche Begegnung mit dem ehrgeizigen Nick und seine anfangs als unbedarftes Dummchen gezeichnete Frau Honey. Nick wird im Laufe der Nacht seine Skrupellosigkeit, Honey ihre verborgene Herrschsucht zeigen. Edward Albee hat für sein dialogstarkes Stück Charaktere gezeichnet, die kraftvolle, explosive Darsteller brauchen. Mit Angela del Vecchio und Jens Kalkhorst, die seit mehr als 20 Jahren gemeinsam auf der Bühne stehen, findet sich ein ideales Paar für dieses schonungslose, aufwühlende Drama mit geschliffen bösem Sarkasmus und vielen heruntergelassenen Hosen.
Jens Kalkhorst, der das Drama für das Wuppertaler Taltontheater inszeniert hat, sagt im Gespräch mit den Musenblättern dazu: „Für mich schließt sich damit ein Kreis, denn ich habe Angela vor 20 Jahren ein Geburtstaggeschenk gemacht, dessen Inhalt genau diese Situation zum Gegenstand hatte. Wir zwei einmal  als Martha und George. Jetzt ist es also so weit, zumal wir, Angela und ich, auch mittlerweile das richtige Spielalter für dieses dunkle Liebespaar haben.“


v.l.: Moritz Heiermann, Angela del Vecchio, Jens Kalkhorst, Svenja Dee - Foto © Joachim Schmitz

Das ist hier quasi mit Händen zu greifen, denn emotionale Aus- und Zusammenbrüche, ordinäre Ausfälle, beißende Schärfe, Wucht und Zerbrechlichkeit müssen gelebt werden. Die erotische Wucht, mit der Martha dem jungen Gast Avancen macht, nur um ihn später zu verspotten, der unbeholfene Versuch Georges, sich an Honey zu revanchieren sind großes Schauspiel. Gezeichnet von den Mißerfolgen des in seiner Position ehrgeizlos gefangenen Historikers, krank am Hohn und an der fehlenden Liebe Marthas, voller Frustration und Aggression in eine Lebenslüge verstrickt, kann sich George dank seines Scharfsinns einen winzigen Raum zu Atmen verschaffen, während Martha, skrupellos, verwöhnt, hysterisch und herrisch, ein Weib, das das Maul nicht halten kann, im eigenen Elend erstickt. Angela del Vecchios Martha, ungeheuer stark in ihren lauten, giftigen Haßtiraden, durch die aber Angst, Verzweiflung, Hunger nach Liebe leuchten, beherrscht die Bühne mit ungeheurer Präsenz. Jens Kalkhorst hält als George wandlungsfähig dagegen, gibt seinen Part souverän, perfekt im Timing, eloquent in der Sprache, moderat, aber genau richtig und böse, wo er nicht mehr anders kann als brutal zurückzuschlagen. Da fehlt nichts und ist nichts zu viel.
So gut sie ihre Sache auch machen, haben Svenja Dee und Moritz Heiermann nur wenig dagegenzuhalten, das aber beachtlich.


Angela del Vecchio, Jens Kalkhorst - Foto © Joachim Schmitz

Rüdiger Tepel hat für die Bühne eine auf Zeitungen von gestern schwimmende zentrale Sofa-Insel gebaut, umgeben von zerbrochenen Versatzstücken einer ruinierten Ehe: Teller, Schallplatten, Bilder, eine Puppe - und Schnapsflachen ohne Zahl. Um und auf dieser Insel spielt sich das Geschehen, wickeln sich die Gefechte ab.
Vom ersten Wortwechsel des ungleichen Ehepaares George und Martha an werden wir ohne Chance auf Entkommen in die verbalen Scharmützel, die sich zur gnadenlosen Schlacht ausweiten, hineingesogen. Als Zeuge der schrecklichen, hoffnungslosen Zermürbung zweier Verlorener möchte man selbst in den knapp drei zermürbenden Stunden gelegentlich aufgeben, bleibt aber bis zum leisen Schlußakkord angstvoll gefesselt.
 
Weitere Informationen: www.taltontheater.de