Französische Romantik mit Parfüm

Widor & Vierne - Iveta Apkalna at the Weiwuying Concert Hall

von Johannes Vesper

„Französische Romantik mit Parfüm“
 
Iveta Apkalna auf Asiens größter Orgel mit Widor & Vierne
 
Von Johannes Vesper
 
Die mit 127 Registern, 9085 Pfeifen, drei Spieltischen größte Orgel Asiens besteht aus großer symphonischer Doppelorgelanlage, entsprechend französisch-romantischen Klangvorstellungen, und einer kleineren Echo-Orgel, die sich an deutsch-barocken Vorbildern orientiert. Der Aspekt der Orgelprospekte nimmt stilistisch die Bambusgehölze Taiwans auf. Diese Orgel wurde von Philipp Klais aus Bonn in die Weiwuying Concert Hall der Drei-Millionenstadt Kaohsiung im Süden Taiwans eingebaut. Die zweitgrößte Stadt Taiwans gewann im 17. Jahrhundert als holländische Militärfestung Bedeutung, wurde im 2. Weltkrieg von US-Truppen bombardiert und baut seit 2006 nach Plänen der holländischen Star-Architektin Francine Houben auf ehemaligem Kasernengelände das National Kaohsiung Center fort he Arts (Weiwuying), ein Kulturzentrum mit Konzerthalle (1981 Sitzplätze), Opernhaus (2236 Sitzplätze), Schauspielhaus (1210 Sitzplätze). Kammermusiksaal, Kongresssaal, Freilufttheater und anderem mehr. Donnerwetter. Und die Klais-Orgel wurde von Iveta Apkalna 2018 eingeweiht. Die Organistin muß hier kaum näher vorstellt werden. Sie weihte bekanntlich ebenfalls die Orgel der Elbphilharmonie Hamburg ein, die sie als Titularorganistin regelmäßig spielt. 2019/20 spielte sie als Residenzkünstlerin des hr-Orchester in Frankfurts Alter Oper. Auf nahezu allen großen europäischen Orgeln und Festspielen hat sie schon konzertiert und wird am Sonntag, den 24. Januar 2021 (18 Uhr) auch auf der großen Sauer-Orgel der Historischen Stadthalle Wuppertal im Rahmen der dortigen 2. Orgelakzente zu hören sein. Seit dem 5. Lebensjahr an den Tasten, absolvierte die aus Riga stammende Organistin ihr Musikstudium in Lettland, absolvierte Aufbaustudien in London (Guildhall School of Music and Drama) sowie anschließend an der Musikhochschule Stuttgart. Für ihre CD-Aufnahmen erhielt sie den ECHO-Preis 2005, damals noch eine Empfehlung.
 
Jetzt spielte sie auf der Orgel der Weiwuying Konzerthalle zwei berühmte französische Orgelsinfonien jener Spätromantiker ein, die mit der Orgel den großen sinfonischen Klangkörpern ihrer Zeit Konkurrenz machen wollten. Sinfonieorchester können die Kontinuität des Klangs spannungsreicher, vielleicht lebendiger als die Orgel wiedergeben, die aber im Hinblick auf Agogik, Dynamik und Klangvielfalt nicht nachsteht. Mit Charles-Marie Widors (1844-1937) 5. Sinfonie hatte sie als 20-jährige auf der Walcker-Orgel des Doms zu Riga ihre Solistenkarriere begonnen. In weichen Akkorden beginnt marschartig das erste Allegro vivace, wird bald von einem flinken Trio abgelöst, bevor mit Stakkato-Sechzehntel Akkorden das Thema wieder aufgenommen wird. Liedartig mit Tremolo in den Mittelstimmen, Fernwerk, punktierte Akkorde, virtuose Baß- im Wechsel mit Diskantfiguren, sinfonische Größe am Ende übermächtiges Baß-Pedal: Hier zeigen Orgel und Organistin alles, was in spätromantischer Harmonik auf dem Instrument möglich ist. Mit wunderbaren, französischen Soloregistern über dunkler Mittelstimme und getupftem tiefem Baß singt die Organistin im anschließenden Allegro cantabile nahezu auf ihrem Instrument. Bedeutend beginnt das Andantino des 3. Satzes, bevor ein hurtiges Baß-Ostinato unter akkordischen Schwellen überleitet zum ruhigen Adagio, dem Lieblingssatz der Organistin. Die geschwinde Toccata, vielleicht das bekannteste Orgelwerk des Organisten an St. Sulpice in Paris, bietet mit wechselnden dynamischen Flächen und Doppelpedal als großartiger finaler Ohrwurmzirkus im ¾ Takt, zum Schluß jedem Orgelfreund einen besonderen Genuß.
 
Louis Vierne (1870-1937), Schüler von Widor und Titularorganist von Notre Dame in Paris, starb am Herzanfall beim Orgelspiel. Seine Harmonien und seine musikalischen Ausdrucksmittel sind aber auch wirklich aufregend, überschreiten die der Spätromantik deutlich, verlassen immer wieder die Harmonik des 19. Jahrhunderts, erinnern an Debussy und zeigt am Rande der Tonalität auf die Moderne jedenfalls mit der Chromatik und Rhythmik des scherzoartigen Intermezzos(3. Satz) Vierne als Komponisten zwischen musikalischem Impressionismus und Neoklassizismus). Der gewaltige, teilweise bedrohlich dynamische letzte Satz mit Akkordkaskaden über mächtigem Baß endet als „organistischer“ Höhepunkt dann doch noch versöhnlich in Dur.
 
Zu allerletzt tröstet Iveta Apkalna, als Organistin erst nach „Bach komplett“, mit der Arie „Schafe können sicher weiden“ aus der Bachs Jagdkantate (Bearbeitung für Orgel Pierre Gouin).
Der Orgelfreund wird von der Musik und ihrer blitzsauberen Darbietung begeistert sein, wobei die von der Organistin sehr geschätzte, vorzügliche Akustik und Raumwirkung der Riesenorgel in dem großen Konzertsaal auf der CD auch bei sehr guter Stereoanlage oder entsprechenden Kopfhörern kaum vollständig eingefangen werden kann. Im Beiheft (Deutsch und Englisch) finden sich ein Vorwort der Organistin, ein informativer Essay von Jesper Klein über „Französische Romantik mit Parfüm“ und Iveta Apkalna, ein Beitrag von Philipp Klais über Asiens größte Konzertorgel aus Bonner Hand sowie eine Liste ihrer sämtlichen Register und Koppeln.
 
Widor & Vierne - Iveta Apkalna at the Weiwuying Concert Hall  
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Stücke:
Charles-Marie Widor (1844-1937): Orgelsinfonie Nr. 5 in f-Moll, op. 42/1 : 1. Allegro vivace, 2 Allegro cantabile, 3. Andantino quasi Allegretto, 4. Adagio, 5. Toccata. Louis Victor Vierne 1870-1937: Orgelsinfonie Nr. 3 in fis-Moll op. 28: 1. Allegro maestoso, 2 Cantilène, 3 Intermezzo, 4. Adagio, 5. Final. Johann Sebastian Bach (1875-1750). Pierre Gouin (*1947): Cantata: Was mir behagt, ist nur die muntere Jagd BWV 208, Schafe können sicher weiden.
 
Weitere Informationen: www.berlin-classics-music.com