Zum Lachen ist das nicht

Susanne Götze u. Annika Joeres – „Die Klimaschmutzlobby - Wie Politiker und Wirtschaftslenker die Zukunft unseres Planeten verkaufen“

von Johannes Vesper

Lachgas! Zum Lachen ist das nicht
 
Klimaschmutzlobby verkauft unsere Zukunft,
nicht nur in der Landwirtschaft.
 
Von Johannes Vesper
 
Nicht um Klimaschutz und Klimawandel, auch nicht um nachhaltige Wirtschaft geht es in diesem Buch. Daß Wachstum und Gewinnmaximierung um jeden Preis unsere Erde ökologisch überfordern und planetarische Grenzen überschreiten, wird seit Jahrzehnten, bereits seit der Umweltkonferenz in Rio 1992 auch international in großem Stil diskutiert. Die Diskussion begann aber schon 1972 auf der 1. Umweltkonferenz in Stockholm. Um „Great Mindshift“, um das große Umdenken in Ökonomie und Gesellschaft und darum die Welt neu zu denken (Göpel), um die dringend notwendige große Transformation (Uwe Schneidewind) zur Rettung der Welt, darum geht es auch nicht, jedenfalls nicht primär in dem Buch von Susanne Götze und Annika Joeres. Ihnen geht es um die Klimaschmutzlobby, also um die Einflußnahme bestimmter Gruppen auf Parlament und Regierungen mit dem Ziel, den menschengemachten Klimawandel zu leugnen, Klimaschutz zu verschleppen, zu verzögern und zu verhindern. Aus wirtschaftlichen Interessen wollen Kohlelobbyisten, Öl- und Gasunternehmer, auch neoliberale Anhänger eines freien Marktes Klima- und Umweltschutz nicht und bremsen, wo sie nur können. Beziehungen zum Rechtspopulismus bekamen erheblichen Rückenwind durch die Wahl und Popularität eines Donald Trump in den USA oder eines Jair Bolsonaro in Brasilien. Aber auch in Europa setzen sich Rechtspopulisten in ihren Programmen dafür ein, effizienten Klimaschutz zu bremsen oder auch abzuschaffen, schreiben die Autorinnen. Daß der Naturschutzring in Berlin in einem unrenovierten Hinterhaus untergebracht sei, während RWE in Essen einen 127 m hohen Turm residiere, zeige die Asymmetrie der Klimaschutzdiskussion. Ihren gewaltigen Gewinn nutzen fossile supranationale Konzerne für ihre Lobbyfunktion und natürlich für unternehmerische Interessen zur Förderung klimaschädlicher Ressourcen, lesen wir. Die Autorinnen haben viel im Internet recherchiert, zahlreiche persönliche Gespräche geführt und EMails geschrieben, um Informationen zu Einfluß und Macht ihrer Klimaschmutzlobby zu erhalten. In den Anmerkungen (53 Seiten mit bis zu 20 Adressen/Seite) werden zu zahllosen Internetrecherchen die benutzten Adressen angegeben und die persönlichen Gespräche mit Ort und Datum belegt. Im Text werden dazu in Journalistenmanier oft Wetter, Uhrzeit, Flair des Cafés, gegebenenfalls sogar Dreitagebart und Bierbauch des Gesprächspartners angegeben. Auch seine Wohnungseinrichtung mit Zinnsoldaten in Glasvitrinen bis hin zum Dackel, der auf den Teppich pinkelt, wird offensichtlich für wichtig gehalten. Überhaupt kümmern sich vor allem weißhaarige ältere Männer um den Klimaschmutz, ist zu lesen. Rentnerhobby? Das wirtschaftliche Interesse von Klimaschmutzlobbyisten Thema wird durch Angaben über finanzielle Vorteile belegt. Die Recherche überrascht im Übrigen, wenn für etliche Aussagen und Schlüsse nur anonyme Quellen, also keine, angegeben werden.
 
Auch in diesem Buch wird deutlich, daß das Personal in Lobby, Parlament und Regierung - paßt hier der Begriffe der „Elite“? - prinzipiell das gleiche ist, also Wechsel von hier nach dort ohne weiteres möglich sind und wechselseitige Abhängigkeiten die politische Diskussion bestimmen. Aktuell wird anläßlich des Verhaltens von MDB Philipp Amthor immerhin von der Opposition im Bundestag der Aufbau eines Lobbyregisters betrieben. Mal sehen!
Die Landwirtschaftslobby arbeitet besonders erfolgreich. Immerhin ist die Landwirtschaft weltweit für ca. 25% der Treibhausemissionen verantwortlich. Lachgas entsteht beim Einsatz künstlicher Düngemittel und ist 300mal schädlicher als CO2. Rinder und Schafe furzen zusätzlich Methan in die Atmosphäre. Zum Lachen ist das nicht. Reduktion von Fleischkonsum und Dünger könnte zu einer deutlichen Abnahme klimaschädlichen Treibhausgases führen und speziell die Erhöhung der Mehrwertsteuer für Fleisch (aktuelle 7%), bisher durch Lobbyarbeit verhindert, könnte dabei helfen.
 
Es geht in dem Buch nicht nur um Klimawandelleugner, Bremser, Populisten in Deutschland. In Russland spielte immerhin jemand Solo-Geige vor dem Puschkin-Denkmal, um die Aufmerksamkeit auf russischen Klimaschutz zu lenken. Ob das reicht? In England gilt der oberste Lügner Boris Johnson als Gefahr für den Klimaschutz, während englische Klimawissenschaftler das Land fluchtartig verlassen, wird berichtet. China gibt an, seine Klimaschutzziele von Paris einige Jahre früher zu erreichen und Deutschland damit weit zu übertreffen, obwohl China auf Rang 30 des Climate Change Performance Index gelistet wird (Deutschland Rang 23).
 
Nicht nur fossile Großunternehmen behindern den Klimaschutz. Was die große Transformation, also der systematische, nachhaltige Umbau aller gesellschaftlichen Verhältnisse, vom Wirtschaftssystem, über Mobilität, Ernährung bis hin zu Heizung und Energiewirtschaft für die Bevölkerung, bzw. für jeden von uns im Einzelnen bedeutet, das wäre ein weiteres Buch wert. Technische Lösungen mit Steigerung von Effizienz und Energiesparen reichen sicher nicht aus. Nicht nur Wirtschaftslenker und Politiker verkaufen die Zukunft des Planeten. Die Gewerkschaften in der Lausitz wie im niederrheinischen Braunkohlerevier fürchten, daß die Zeche für eine Dekarbonisierung vor allem auch Kohlekumpel zahlen werden. Die Kämmerer etlicher finanziell klammer deutscher Städte besitzen Aktienpakete fossiler Energieversorgungsunternehmen. Die Kosten des so lobenswerten Erneuerbare-Energie-Gesetzes tragen schon jetzt die Verbraucher. Wer soll das bezahlen? singt also der deutsche Steuerzahler und Wähler. Wie kann die Bevölkerung mitgenommen werden auf dem sicher teuren Weg zu den dringend erforderlichen nachhaltigen Lösungen?
 
Die am Ende des Buches angegebenen fünf klimafreundlichen Maßnahmen werden den Leser besonders interessieren, weil er glauben darf, zum nachhaltigen Umweltschutz beitragen zu können.
1. Autofahren, Heizen, Plastikprodukte vermindern bzw. verteuern, was in Schweden und der Schweiz erfolgreich gelinge. Urlaubsflüge zur Südsee, auch Kurzstreckenflüge müssen entfallen. Mit Zelten im Schwarzwald, der Radtour am Main, Fahrradfahren in der Stadt, zur Arbeit und zur Schule usw. usw. könnten viele ihren Beitrag leisten. Umdenken ist nötig!
2. Fleischkonsum einschränken. Dazu wird China als Vorbild angeführt. Wir hier in Deutschland vertilgen ca. 60 kg Fleisch/Person/Jahr. In China will man bis 2030 nur noch maximal 26 kg/Person/Jahr essen, und Greenpeace berechnete, daß der Fleischkonsum weltweit bis 2030 auf 22 kg/Person und Kopf abnehmen muß, um schädliche Klimafolgen zu begrenzen.
3. Kohlekraftwerke früher schließen. Während in Belgien das letzte Kohlekraftwerk schon 2016 geschlossen worden ist, wurde hier erst kürzlich im Klimapaket beschlossen, 2038 die letzten Kohlekraftwerke abzustellen und vorher noch neue in Betrieb zu nehmen.
4. Müllproduktion und anschließende Entsorgung verringern. In Schweden werden 99% der Abfälle recycelt, in Deutschland 17%.
5. Verkehrssystem umbauen, für Radfahrer und Fußgänger optimieren. Mobilität neu denken!
 
Die Autorinnen sind in ihrem Gebiet zu Hause: Dr. Susanne Götze schreibt als Journalistin für Magazine und Tageszeitungen zum Thema, unter anderem für SPIEGEL, die Frankfurter Rundschau, Zeitonline, die Süddeutsche Zeitung und National Geographic. Außerdem arbeitet sie als freie Radiojournalistin u.a. für den Deutschlandfunk. In vorangegangen Büchern hat sie die AFD analysiert und Reisereportagen zum Klimawandel publiziert. https://susannegoetze.de/ueber-susanne-goetze/
Annika Joeres publiziert zum Thema Klimawandel u.a. in Die Zeit, Süddeutsche Zeitung und taz. https://correctiv.org/team/annika-joeres/
 
Das Buch ist interessant, leicht zu lesen und regt an, über unsere Lebensweise, deren fehlende Nachhaltigkeit, die notwenige große Transformation und die Bedrohung der Demokratie durch starke Lobby nachzudenken.
 
Susanne Götze u. Annika Joeres – „Die Klimaschmutzlobby - Wie Politiker und Wirtschaftslenker die Zukunft unseres Planeten verkaufen
© 2020 Piper Verlag, 302 Seiten, gebunden - ISBN 978-3-492-07027-0
20,-€.
 
Weitere Informationen: https://www.piper.de/