Die Erde nach Corona

Maja Göpel – „Unsere Welt neu denken“

von Johannes Vesper

Die Erde nach Corona

Maja Göpel: Neu denken.

Von Johannes Vesper
 
Wann der „Lockdown“, die große Pause der Industrie und des Verkehrs, die ereignisarme Leere der Sport- und Tourismusindustrie, der Stillstand des gesamten öffentlichen Lebens endet, wissen wir nicht. Wir ahnen aber, was bei der zum Überleben notwendigen sozialen Distanz sich als wirklich wichtig erweist: Versorgung von Kleinkindern in der Kita, regelmäßig Schule für Kleine und Große, persönliche Nähe, Freunde, Kultur in Gemeinschaft, Schutzkleidung, Masken und Medikamente: all das fehlt in pandemischen Zeiten. Dabei droht und lauert hinter der Pandemie unverändert die anthropomorphe Zerstörung der Erde. Fridays for Future hatte wieder daran erinnert. Zehntausend Protestschilder, auf Pappe gemalt, lagen kürzlich auf der Wiese vor dem Kanzleramt. Nach Corona weiter so wie bisher?
 
     Maja Göpel weist in ihrem Buch „Unsere Welt neu denken“  auf die Gefahren hin, die unseren Planeten unabhängig von Corona bedrohen. Seine Ausplünderung kann so nicht weitergehen. Seit ca. 1970, also seit zwei Generationen, oder anders betrachtet in den letzten zwei Sekunden der 24 Stunden, die wir als Homo sapiens auf dieser Welt agieren (ca. 300.000 Jahre), bringen wir unsere Erde in gefährliche Bedrängnis. Die ökologische Bedrohung, viel gefährlicher als Corona, darf nicht durch die Pandemie aus dem Bewußtsein verschwinden. Nein, wir werden durch die aktuelle weltweite Krise dringend genötigt, neu zu denken, wie wir Ökologie, Ökonomie. Gesundheit und deren wechselseitigen Abhängigkeiten vernünftig nutzen und nachhaltig in Übereinstimmung bringen. Dank entfesselter Ökonomie und nur mit weltweiter Gewinnmaximierung unter Ausnutzung interkontinentaler Lohndifferenzen funktioniert unsere Wirtschaftsordnung. Das dafür notwendige Wachstum überfordert aber die Erde systematisch und überschreitet planetarische Grenzen im globalen Süden, in den Weiten des Himmels (Klimakatastrophe) wie in den Tiefen des Meeres (Müllablagerung). Das Buch von Maja Göpel kommt gerade zur rechten Zeit. Die Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen erläutert differenziert den fatalen Zusammenhang zwischen Ökologie und Ökonomie. Das Thema liegt der Autorin sehr am Herzen. Unser ökologischer Fußabdruck, mit dem alles erfaßt wird, was wir auf der Erde so anrichten, ist seit 1970 gewuchert. Die Erde gibt diesen Naturverbrauch nicht mehr her. Der Tag, an dem wir in Deutschland unseren Jahresverbrauch an natürlichen Ressourcen überschreiten (Overshoot Day, Übernutzungstag) war 2019 der 3. Mai. Von Mai bis Dezember beuten wir die Erde weiter aus, ohne die Möglichkeit zur Wiedergutmachung. Nach der neolithischen Revolution vor 10.000 Jahren, der industriellen Revolution vor ca. 250 Jahren, vor allem aber nach Kohleabbau und nach Beginn der Erdölförderung (seit 1859) explodiert der Ressourcenverbrauch. Mehr als 90% der vorhandenen Öl-, Gas- und Kohlereserven können nicht mehr genutzt werden, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen. Dabei sind schon seit 1972 die Grenzen des Wachstums bekannt und heute wissen wir, daß vor allem der Anstieg der Kohlendioxidkonzentration die Erderwärmung fördert und das Wachstum begrenzt. Was ein Negativpreis des Erdöls zusätzlich zur Pandemie für Erdöl fördernde Länder wie Irak, Iran, Indonesien sozial bedeutet, ist völlig unabsehbar. Und sogar in Deutschland, nicht nur in Australien, muß bei weiter ausbleibenden Niederschlägen erneut ein Dürresommer befürchtet werden. Erste Waldbrände wegen fehlenden Regens brachen schon im April aus.
 
     Seit dem Kyoto-Protokoll 1997 und der Konferenz in Paris 2015 gibt es für die Weltbevölkerung das Ziel, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Bis 2050 will die EU klimaneutral werden. Dabei müssen wir uns klar darüber sein, daß die Hälfte des Kohlendioxids, welches wir Menschen verantworten, in den vergangenen 30 Jahren entstanden ist. Unsere Generation ist dafür verantwortlich! Die UNO definierte schon 1983 im Brundtlandt-Bericht (Gro Harlem Brundtland ehemalige norwegische Ministerpräsidentin), daß nachhaltige Entwicklung die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigen sollte, ohne aber zukünftige Generationen bei der Verfolgung der gleichen Ziele zu benachteiligen. Das liest sich wie bei „Fridays for Future“ heute. Daß zur gleichen Zeit der Ökonom Robert Solow für seine Theorie des wirtschaftlichen Wachstums als ausschließliche Folge technologischen Fortschritts den Nobelpreis (1987) erhielt, ist aus heutiger Sicht schwer begreiflich, zumal er glaubte, daß wir den Verbrauch der natürlichen Ressourcen der Erde technologisch ersetzen könnten. Können Technologie und ihr Fortschritt helfen, die Ausbeutung der Natur nachhaltig mindern? Und das, ohne den Wohlstand zu reduzieren? Wer das glaubt, ist selig. Über die Rahmenbedingungen der großen Transformation, über Jevons Paradoxon und Rebound-Effekt im Zusammenhang mit Effizienzsteigerung von Motoren und Brennstoffen und deswegen steigenden Gesamtverbrauchs des verfügbaren Treibstoffs kann im Rahmen dieser Rezension nicht umfassend berichtet, im Buch von Göpel aber klar nachgelesen werden. Der Hinweis darauf, daß bei der Produktion des 100-kwh-Akkus für große Elektro-SUVs bis zu 20 Tonnen CO2 anfallen, die ein sparsames Dieselauto bei einer Fahrleistung von 200.000 km produziert, soll hier genügen!
 

Foto © Johannes Vesper

     Wir müssen einfach aufhören, unsere Erde, die einzige, die wir haben, und die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen zu zerstören. Vom Müll, von dem wir mehr ins Ausland exportieren als Maschinen, will ich jetzt gar nicht mehr sprechen. Was nicht exportiert wird, landet im Ozean.
Maja Göpel diskutiert kenntnisreich, flüssig und sympathisch alle Probleme des Homo oeconomicus. Werden wir mit zunehmendem Reichtum, den wir nur durch Wachstum erreichen, wie die Ökonomen behaupten, glücklicher? Wenn der globale Süden den gleichen Lebensstil und Ressourcenverbrauch wie der globale Norden erreichen würde, wären Klima und Welt noch schneller ruiniert. Aktuell üben wir den Umgang mit Schutzmasken gegen Corona. In den Riesenmetropolen Chinas und Indiens sind Masken schon seit langem wegen Dreck und Gift in der Luft erforderlich. Wenn die Menschheit eine Chance haben und einen Ausweg aus der existentiellen Krise unserer Erde suchen will, muß die große Transformation (Uwe Schneidewind) angegangen werden und zwar schnell. Grenzenloses Wachstum hilft nicht mehr weiter. Die drohende CO2-Vergiftung der Erdatmosphäre kann nur mit vollständigem Verzicht auf Erdöl und Kohle, also mit vollständiger Dekarbonisierung erreicht werden. Dazu muß neu nachgedacht werden über Mobilität, Energie, Ernährung, Wohlstand, Konsum.
 
     Bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie wird die Rezession infolge des Stillstands des öffentlichen Lebens und der Arbeitswelt in Kauf genommen. Insofern kann die aktuelle Krise als Modell für die Zukunft gesehen werden. Wahrscheinlich besteht im Hinblick auf die ökologische Katastrophe die Lösung auch im Herunterfahren der Wirtschaft. Vielleicht ist eine andauernde Rezession Teil der Lösung der Probleme des Anthropozäns. Die Autorin stellt das systematisch auf Wachstum gegründete Wirtschaftssystem grundsätzlich in Frage und fordert dazu auf, unsere Welt neu zu denken. Auch wenn die Wirtschaftsweisen schon jetzt auf erneutes Wirtschaftswachstum am Ende des Corona-Alptraums hoffen und die betrügerischen deutschen Autokonzerne wieder mal auf Staatshilfen, um erneut den Absatz ihrer CO2-ausstoßenden Limousinen und SUVs anzustoßen, äußert sich EU-Vizepräsident Timmermanns am 28.04.20 auf der Petersberger Umweltdialog der UNO anders: „Wir müssen die Erholung von Covid-19 kombinieren mit dem Umbau unserer Wirtschaft“. Das läßt hoffen. Wir müssen umsteuern, neu denken. Dazu regt die Lektüre des Buches von Maja Göpel an. Die Professorin an der Leuphana Universität Lüneburg promovierte in politischer Ökonomie und ist Mitglied des Club of Rome. Sie schreibt gut lesbar, kenntnisreich und flüssig auch über komplizierte Zusammenhänge und historische Entwicklungen der Ökonomie und Ökologie. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis lädt zu weiterer Beschäftigung ein. Dringend zu empfehlen.
 
Maja Göpel – „Unsere Welt neu denken“
© 2020 Ullstein-Verlag, 208 Seiten, Gebundes Buch - ISBN: 9783550200793
17,99 €
Weitere Informationen:  www.ullstein-buchverlage.de