Zur Buchkunst

(Über den Bucheinband)

von Hugo Steiner-Prag

Zur Buchkunst
 
Und über dem allen, mein Sohn, laß dich warnen;
denn des vielen Büchermachens ist kein Ende,
und viel Studieren macht den Leib müde.
Prediger 12, 12
 
Der gute Bucheinband ist die äußerliche Ausstrahlung des literarischen Werkes, dem er als Hülle dient. Durch seine Farbigkeit und seinen Schmuck wird er zum Träger des Stimmungsgehaltes, und je feinnerviger der Buchkünstler auf diesen Inhalt zu reagieren versteht, desto persönlicher und treffender wird er ihn im Einband ausdrücken. Er wird auf diese Weise unmittelbar zu wirken trachten, wird ohne sich eines historischen Mäntelchens zu bedienen, Zeit- und Stilstimmungen vermitteln. Das aber gilt nicht nur von der Literatur unserer Zeit, sondern auch von jener vergangener Epochen. Sein historisches Empfinden ist wesentlich anders eingestellt als das der vergangenen Künstlergeneration. Für ihn gibt es kein Stilkopieren, keinen Mummenschanz mit überlieferten Formen, sondern selbständiges Erfassen und bewußtes Abwandeln im Geiste seiner Zeit und seines persönlichen Gefühlslebens...  
Allein durch die Betonung des in jedem Buche steckenden Architekturgedankens ist er imstande, Buchschönheiten von stärkster und nachhaltigster Wirkung zu erzielen. Diese Gesinnung ist in der rastlosen Arbeit der verflossenen drei Jahrzehnte Gemeingut aller wahren Buchkünstler geworden. Sie führte zum Verzicht auf das Überflüssige und zur Betonung des Wesentlichen. Sie schuf eine Formensprache der einfachsten Schmuckelemente, die in unerschöpflicher Erfindung zu immer neuen Reizen abgewandelt wird. Und diese immer wiederkehrenden Variationen, dieses ewige Neugestalten scheinbar gleicher Aufgaben ist das Beglückende der buchkünstlerischen Arbeit...
Der Buchkünstler, der für künstlerisch und technisch einwandfreie Arbeit kämpft, muß nicht nur gute Absichten haben, sondern auch den Mut und die Ausdauer, sie durchzusetzen. Mit der Fertigstellung des Einbandentwurfes ist seine Arbeit daher nicht erledigt. Sie beginnt dann erst recht und muß sich auf die Beratung in Materialfragen und auf die Überwachung des Werdeprozesses erstrecken...
Hier ist der Buchkünstler vor neue Aufgaben gestellt. Es gilt für ihn, den Geist der Maschine zu erfassen, ihre Möglichkeiten kennen und auswerfen zu lernen und seine Absichten ihrer technischen Eigenart anzupassen.  
 
Hugo Steiner-Prag: Über die Beteiligung der Buchkünstler an der Entwicklung des neuzeitlichen deutschen Bucheinbandes (1927).