Lebendig gewordene Schrecken

Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ mit Wuppertals Inklusivem Schauspielstudio

von Martin Hagemeyer

Nora Krohm, Flora Li, Louis Droß - Foto © Uwe Schinkel

Lebendig gewordene Schrecken
 
Wuppertals Inklusives Schauspielstudio findet fantasievolle Bilder
für Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ - anschaulich und grausig-vital.
 
Regie und Bühne: Bardia Rousta
Mit: Kevin Wilke, Hannah Holthaus, Louis Dross, Nora Krohm, Flora Li, Yulia Yáñez Schmidt, Aline Blum, Jack Rehfuß.
 
Ein Mann kommt nach Hause.“ Mit diesen Worten beginnt nicht nur Wolfgang Borcherts Stück „Draußen vor der Tür“, sondern sie stehen auch an Anfang wie Ende der Regiearbeit von Bardia Rousta - dem ersten Stück von Wuppertals Inklusivem Schauspielstudio. Das Aufgreifen zum Abschluß weist freilich deutlich auf den Unterschied gegenüber dem Einstieg hin: Kamen diese Worte zu Beginn von anderen, spricht der Kriegsheimkehrer Beckmann sie nun als bitteres Eigenfazit. Ein Zuhause hat er nicht gefunden.
 
Diese Schar verschiedener Figuren prägt die Inszenierung im Theater am Engelsgarten, und das ist ein Grund für ihre Gesamtstimmung: Sie ist eigentlich nicht depressiv oder apathisch, obwohl der Text von Borchert, der selbst schwer geschlagen aus dem Krieg kam, das hergäbe, eigentlich: nahelegt. Wahnvorstellungen, massive Schuldgefühle und die Schilderung ständiger Alpträume, all das kommt im Stück von 1947 vor. Hier aber ist die Stimmung vordergründig nicht niedergedrückt - im Gegenteil. Denn die Verletzungen werden plastisch, sichtbar und durchaus lebendig.
Die Wirkung liegt auch am Protagonisten Beckmann (Kevin Wilke), der durchgängig doppelt auftritt, nämlich zusammen mit der Figur des „Anderen“ (Jack Rehfuss). Deutlich ist dieser angelegt als Alter Ego, und wie der Soldat selbst wirkt er, diese Fleisch gewordene Fantasie, äußerlich ungebrochen. Hoch gewachsen und durchaus markant im Auftreten, springt den Zuschauer die innere Versehrung dieses Doppel-Beckmann über weite Strecken nicht an.


Aline Blum, Hannah Holthaus, Jack Rehfuß, Kevin Wilke, Yulia Yáñez Schmidt, Louis Droß - Foto © Uwe Schinkel
 
Der andere Grund dafür, daß der Gesamteindruck durchaus etwas Vitales hat, sind eben all die Figuren um ihn herum, die bei Borchert auf ganz verschiedenen Ebenen angesiedelt sind. Da ist der Bestattungsunternehmer: Nora Krohm trägt ein morbides, tolles Kostüm (Silke Rekort) voll mit Puppenkörpern, und so schön grotesk legt sie auch ihr Spiel an. Da ist die surreale Gestalt der Elbe, auch ihre Aufmachung mit Schauwert durch einen Strom aus Luftballons: Dem personifizierten Fluß, in den sich Beckmann stürzen will, gibt Yulia Yáñez Schmidt eine Identität als herrische Jungfer: So schrecklich wie zutreffend hält sie dem Lebensmüden entgegen, schließlich gehe es doch vielen weiteren Kriegsopfern nicht besser als ihm. Und der Mann (Louis Dross) des Mädchens (Hannah Holthaus), der als Einbeiniger zurückkommt und zumindest halb fiktiv vor Beckmanns entsetzten Augen erscheint.
 
Hinzu aber kommen solche Mitglieder des Figureninventars, die ganz realer Teil von Beckmanns Leben und Leiden sind. Frau Kramer etwa, die Nachbarin des ruhelosen Rückkehrers, der Aline Blum ziemlich komisch eine gute Portion Erbarmungslosigkeit verleiht: „Wissen Sie, was das ist?“, fragt sie, nachdem sie Beckmann den Aufenthaltsort seiner Eltern benannt hat, und klärt ungerührt auf: „'Ne Gräberkolonie.“ Und der Oberst (gleichfalls Krohm), Beckmanns Oberst also, den dieser mitverantwortlich macht für den Tod der Soldaten, der sein eigenes Gewissen martert - und seine Frau (Flora Li), die es schon bei Borchert „friert in ihrer warmen Stube“.
 

Hannah Holthaus, Kevin Wilke - Foto © Uwe Schinkel

Diese toten Soldaten, im Text halluziniert wie ein moderner Totentanz, zu dem sie aus den Gräbern steigen: An sie scheint schon zu Beginn ein Aufzug zu gemahnen. Schaurig verfolgen all die Gestalten Beckmann gemeinsam, während sie besagte Eingangsworte zischen. So wie sie ihn auch später umschleichen und bedrängen: Die Geister seiner Kriegserlebnisse lassen den einsamen Rückkehrer nicht los. Dem Stück nimmt das einiges von der Schwere des Stoffs - aber kaum etwas von seinem Schrecken.
 
Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür.
Produktion des Inklusiven Schauspielstudios in Kooperation mit Glanzstoff - Akademie der inklusiven Künste e.V., in Zusammenarbeit mit der Schauspielschule Der Keller.
 
Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de