„…als wollts die ganze Welt satt machen“

Ein Märchen der Brüder Grimm, zu Epiphanias ins Moselfänkische übersetzt

von Rudolf Engel

„…als wollts die ganze Welt satt machen“

Es ist kaum zu verstehen, daß es in unseren Tagen, das heißt im 21. Jahrhundert, noch so viele arme Leute gibt. Menschen, die täglich hungern müssen. Das nicht nur in Afrika, Indien, China oder sonst wo auf der Welt; sogar bei uns in Deutschland, in dem Land, in dem zur gleichen Zeit sehr viele Leute leben, die nicht nur reich, sondern steinreich sind.
Die große Hoffnung satt zu werden, verkörpert sich im schönen Wunschbild des Märchens vom Süßen Brei. Es ist Ausdruck der Sehnsucht all der Menschen, die durch die Jahrhunderte permanent an ihrer Armut leiden und sterben mußten, nie mehr hungern zu müssen. Heute ist Epiphanias-Tag, doch ich fürchte, ein solches Wunder wie im Märchen vom Süßen Brei wird allein schon aus geopolitischen Gründen ausbleiben und ohnehin am Raubtier-Kapitalismus scheitern.


Der süße Brei
ein Märchen der Brüder Grimm
 
Es war einmal ein armes, frommes Mädchen, das lebte mit seiner Mutter allein, und sie hatten nichts mehr zu essen. Da ging das Kind hinaus in den Wald, und begegnete ihm da eine alte Frau, die wußte seinen Kummer und Jammer schon und schenkte ihm ein Töpfchen, zu dem sollt es sagen: „Töpfchen, koche“, so kochte es guten, süßen Hirsebrei, und wenn es sagte: „Töpfchen, steh“, so hörte es wieder auf zu kochen.
Das Mädchen brachte den Topf seiner Mutter heim, und nun waren sie ihrer Armut und ihres Hungers ledig und aßen süßen Brei, sooft sie wollten.
Auf eine Zeit war das Mädchen ausgegangen, da sprach die Mutter: „Töpfchen, koche“, da kocht es, und sie ißt sich satt; nun will sie, daß das Töpfchen wieder aufhören soll, aber sie weiß das Wort nicht mehr. Also kocht es fort, und der Brei steigt über den Rand hinaus und kocht immerzu, die Küche und das ganze Haus voll und das zweite Haus und dann die Straße, als wollts die ganze Welt satt machen, und es ist die größte Not, und kein Mensch weiß sich da zu helfen.
Endlich, wie nur noch ein einziges Haus übrig ist, da kommt das Kind heim und spricht nur: „Töpfchen, steh“, da steht es und hört auf zu kochen, und wer wieder in die Stadt wollte, der mußte sich durchessen.
 
De sejße Brei (ins Moselfränkische übersetzt von Rudolf Engel)
 
Ed woar emoa en ärm, fromm Meedchin, dat leewd mäat seiner Modder allään, un se hotten nix mej ze äaßem. Döö äas dat Käand enaus gang äan de Wald, un ed äas hier döö en alt Fraa begehnd, dej hot sei Kommer un Jammer schu gewoschd un hot him en Deppchin geschenkd, zoù demm häard soan solld: „Deppchi kooch“, soù dääd dat en goaden sejßen Hirsebrei koochen, un wenn ed seed: „Deppchi, stejh“ soù hierd ed off ze koochen.
Ed Meedchin brengd dat  Deppen seiner Mamm, un schun woaren sei nemmej ärm un hieren Honger loas, un sei hun sejßen Brei äaße kennen, soù dix sei wollden.
Off ään Zeit, döö äas dat Meedchin ausgang, un döö hot de Mamm gesoat: „Deppchi, kooch“, un schu koochd ed, un sei essd  seich satt. Un nau well sei, dat dat Deppchin nommoa offhiere soll; awer sei wääß dat Wuard nemmej. Alsoù koochd ed weider, und de Brei grawweld iwwer de Rund enaus und hierd net off ze koochen, de Kich un ed ganz Haus voll un ed zwäät Haus och un dann de ganz Stroaß, als wollt ed de ganz Welt satt maachen. Un ed enstäähd de grieschd Noùt, u kää Mensch wääß ze helfen.
Endlich, wej nur noch ään Haus iwwrisch äas, döö kemmd dat Käand haam un seehd nur: „Deppchi, stejh“, döö stäähd ed un hierd off ze koochen. Un jeden denn wei nommoa äan de Stadt wolld, denn hot seich dörrichäaßen missen.
 
rue
 


PS.:
Während ich diese Zeilen schreibe, läuft nebenan auf WDR eine Sendung unter „Einfach und köstlich“, in der es u.a. um die serielle Herstellung von Speiseeis für Hunde geht.
Köstlich!
rue
 
© 2020  Rudolf Engel

Redaktion: Frank Becker