Weit weg von Disneys Dschungelbuch

Robert Wilson inszeniert Kipling in Düsseldorf

von Andreas Rehnolt

Rosa Enskat - Foto © Lucie Jansch

Weit weg von Disneys Dschungelbuch
 
Robert Wilson inszeniert Kipling in Düsseldorf
 
Regie, Bühne, Licht: Robert Wilson - Musik, Lyrics: Coco Rosie - Kostüme: Jacques Reynaud - Musikalische Leitung: Sven Kaiser - Fotos: Lucie Jansch
Besetzung: Mowgli, ein Findelkind: Cennet Rüya Voß - Bagheera, ein schwarzer Panther: André Kaczmarczyk - Baloo, ein Bär: Georgios Tsivanoglou - Shere Khan, ein Königstiger: Sebastian Tessenow - Hathi, ein indischer Elefant: Rosa Enskat - Akela, ein Wolf: Ron Iyamu - Raksha, eine Wölfin: Judith Bohle - Messua, Mowglis Mutter:Tabea Bettin - Tabaqui, ein Schakal: Felicia Chin-Malenski - Kaa, eine Pythonschlange: Thomas Wittmann - Monkey / Buldeo, ein Jäger: Takao Baba
 
Fernab von Walt Disneys Zeichentrick-Dschungelwelt hat der amerikanische Regisseur Robert Wilson in Düsseldorf die  Geschichte „Das Dschungelbuch“ nach dem berühmten Roman von Rudyard Kipling als inszeniertes Konzert für große und kleine Zuschauer auf die Bühne gebracht. In nur anderthalb Stunden verzaubert Wilson mit einem eher kargen Bühnenbild und elf Schauspielerinnen und Schauspielern bei der Premiere im bis auf den letzten Platz besetzten Großen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses das Publikum.
 
In den ersten Minuten glaubt der Zuschauer sich in einem Tierpark. Der sonst rote Bühnenvorhang ist hier in buntesten Farbflicken gestaltet, und aus dem Off tönen die unterschiedlichsten Tierstimmen, wie man sie aus Zoo-Besuchen kennt und unweigerlich dem Dschungel zuordnet. Eine süße Elefantin (Rosa Enskat als Hathi) mit zauberhaften Ohren und einem weißen Mädchenkleid aus der Entstehungszeit der Geschichte (1894-95) stellt alle Protagonisten vor, die artig vor den Vorhang treten und ein paar Bewegungen, Schreie oder ein Liedchen zum Besten geben.
Dann der Beginn. In einem nur angedeuteten Gebüsch findet das Wolfspaar Akela (Ron Iyamu) und Raksha (Judith Bohle) ein Körbchen mit einem Menschenbaby darin. Die Szene wirkt fast wie die von Moses im Binsenkorb im Alten Testament der Bibel. Das Wolfsduo nimmt den Jungen mit und stellt ihn der Versammlung der Tiere vor. Hier wird schnell klar, daß es Befürworter und Gegner der Aufnahme des Menschenkinds in der Dschungelgemeinschaft gibt.


v.l.: Judtih Bohle, Rom Iyamu, Cennet Rüya Voß, Thomas Wittman - Foto © Lucie Jansch

Der Tiger (ein ehr gelangweilt an einen Salonlöwen wirkender Shere Khan (Sebastian Tessenow) beklagt im „Tigersong“, daß ihn niemand liebt; der während des Abends stets unterwürfig bleibende Schakal Tabaqui (Felicia Chin-Malenski) stichelt gegen den rot gekleideten Mowgli, den die wunderbare Cennet Rüya Voß naseweis, forsch und unerschrocken gibt.
Die Schlange Kaa, bei Disney eine bös-berechnende und hinterhältige Figur, bleibt bei Wilson eine nur zischelnde Nebenfigur, der Thomas Wittmann erst kurz vor Schluß einen Hauch Gefährlichkeit verleihen kann. Auch der vor allem gelenkige Affe, der von Takao Baba tänzerisch mit Bravour gegeben wird, hat leider kaum etwas zu sagen.
Immer wieder im vollbesetzten Theater verdienter Szenenapplaus, nicht zuletzt für die Musik des Duos Coco Rosie, das schon häufig mit Wilson erfolgreich zusammengearbeitet hat (in Berlin bei „Peter Pan“ oder in Oslo bei „Edda“) und deren Texte von einer mehrköpfigen Live-Band im Bühnengraben phantastisch intoniert werden. Toll die Songs „Hide and Seek“, „Law of the Junge“ oder „Heart of the Jungle's Sake.


v.l.: Georgios Tsivanoglou, Thomas Wittmann, Cennet Rüya Voß - Foto © Lucie Jansch

Dann die Helden des Stücks: Die schwarze Panther-Dame „Bagheera“, vom Düsseldorfer Publikums-Liebling André Karczmarczyk zu diven-tuntenhaft gespielt mit eingebautem Mikrophon im langen Schwanz hat leider viel zu wenig von einem Freund und Beschützer Mowglis (Cennet Rüya Voß). Dafür ist der von Natur aus rundliche und stimmlich hervorragende Georgios Tsivanoglou ein Baloo, mit dem man gerne Pferde stehlen würde. Und sein „Baloo's Song“ geht herrlich ins Ohr und erinnert an den traumhaften Klaus Havenstein als Bär in der Hörspielversion vom „Dschungelbuch“ vor vielen Jahrzehnten. „We could care less about wedding rings“ heißt es beim Düsseldorfer Baloo oder auch „If you sing to th flowers they sing“. Wunderbarer Musikunterricht im bei Wilson mit  Kommunikationsschrott angereicherten Dschungel-Bühnenbild. Warum er ausrangierte Fernseher und Computerbildschirme als Rastplätze für die Tiere nutzt, erschließt sich nicht, muß es aber auch nicht.
Ohnehin ist die Bühne - typisch für den Regiestar - eher karg gehalten. Ein paar riesige Blätter, ein wie im Barock-Theater gestaffelter Dschungelboden, ein paar zackige grüne Gräser und natürlich die „rote Blume“, das Feuer, das Mowgli von seinem ersten Besuch bei den Menschen im Dorf mit zurück in den Dschungel bringt und vor dem sich alle Tiere fürchten, genügen.
 
Viel Schattenspiel, viel Hin und Her im Wilson-Dschungel. Der herrliche Elefant Hahti gibt den Conférencier und Erklärer der Handlungen gottseidank in deutscher Sprache, sonst könnten Kinder und auch manche Erwachsenen den in Englisch vorgetragenen Songs wohl nicht oder nicht immer folgen. Baloo und Hahti sind für den Rezensenten neben Mowgli die Top-Akteure in der insgesamt gelungen Musical-Theater-Produktion, die zu Recht damit wirbt, ein Stück für die ganze Familie zu sein.
 
Weitere Informationen: www.dhaus.de
 
 Redaktion: Frank Becker