CO2-Bepreisung und Entfernungspauschale – Die eingebildete Steuererhöhung

Wissenschaftler kritisieren die vom Klimakabinett vereinbarte Einführung

von Prof. Dr.-Ing. Christian Holz-Rau

Foto © Frank Becker

CO2‐Bepreisung und Entfernungspauschale –
Die eingebildete Steuererhöhung
 
Im Verkehrsbereich soll das Instrument des CO2‐Preises finanzielle Anreize für ein verändertes Verkehrsverhalten (kürzere Wege z B. in der Freizeit, mehr Fahrten mit Bus, Bahn oder Fahrrad statt mit dem Auto) und zum Kauf von Fahrzeugen mit geringeren CO2‐Emissionen setzen. Dazu muß der CO2‐Preis den Kraftstoff gegenüber dem heutigen Niveau spürbar verteuern. Entspricht die Preissteigerung dagegen der Inflation bzw. der Preissteigerung möglicher Alternativen, besteht kein ökonomischer Anreiz für Verhaltensänderungen. Wenn der Preis der Einkommensentwicklung folgt, sind die Anreize für Verhaltensänderungen äußerst gering und es gibt keinen Anlass für eine Kompensation, denn die Einkommen kompensieren bereits die steigenden Preise.
Das Klimakabinett vereinbarte die Einführung eines CO2‐Preises von 10 €/t CO2 im Jahr 2021, der bis 2025 auf 35 €/t CO2 steigen soll (Die Bundesregierung, 2019: 4). Dies wird von den meisten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen als unzureichend kritisiert. Die ursprünglichen Vorschläge der Bundesumweltministerin auf Basis eines Gutachtens des DIW (2019) lagen um ein Vielfaches höher.
Politik und Medien sprechen von einer Erhöhung der Abgaben auf Benzin um 10 ct/l bis zum Jahr 2025. Dies ist aufgrund der Kostenstruktur des Benzinpreises falsch.
 
1 Zusammensetzung des Benzinpreises
Der Benzinpreis1 ergibt sich aus dem Produkteinstandspreis, den Deckungskosten der Unternehmen, der Energiesteuer sowie der Mehrwertsteuer (BMFi 2019). Im politischen Zugriff befinden sich die Steuersätze und eine CO2‐Bepreisung.
1.1 Die Energiesteuer
Die Energiesteuer ist eine fixe Steuer, die seit 2003 65,45 ct/l Benzin beträgt (ohne Mwst.). Bei der „fixen“ Energiesteuer findet, anders als bei prozentual festgelegten Steuersätzen, kein selbstständiger Inflationsausgleich statt. Durch die Inflation ist die Energiesteuer je Liter seit 2003 real um etwa 20 %
1 Die folgenden Berechnungen beschränken sich auf den Benzinpreis, da dieser in der Diskussion im Vordergrund stand. Der Dieselpreis wird bei Umsetzung der bisherigen Beschlußfassung etwas stärker steigen als der Benzinpreis.gesunken, gegenüber den Einkommen sogar um 26%.2 Nach den aktuellen Entscheidungen bleibt die Energiesteuer nominal konstant und sinkt real (inflationsbereinigt) bis 2025 um etwa 9 % bzw. 6,5 ct/l (einschl. Mwst.).
1.2 Der CO2Preis
Ab 2021 soll dieses Preisgefüge ergänzt werden durch die CO2‐Bepreisung, steigend von 10 €/t CO2 im Jahr 2021 auf 35 €/t CO2 im Jahr 2025. Für den Liter Benzin folgt aus dem CO2‐Preis von 35 €/t CO2 ein nominaler Aufschlag von knapp 10 ct/l Benzin. Dies entspricht zu heutigen Preisen einem realen Aufschlag von 9,04 ct/l Benzin (einschl. Mwst., Umrechnung des CO2‐Preises von €/t auf ct/l anhand DIW 2019: 5).
1.3 Energiesteuer plus CO2Preis – eine Bilanz
Nachfragerelevant ist dabei nicht die Zusammensetzung der Belastung, sondern allein die Gesamtbelastung. Dabei heben sich die neue CO2‐Abgabe und die inflationsbedingt sinkende Energiesteuer weitgehend auf: 9,04 ct/l ‐ 6,49 ct/l = 2,55 ct/l (zu Preisen von 2019). Die Beschlüsse des Klimakabinetts erhöhen also die Abgaben auf Benzin inflationsbereinigt nicht um 10 ct/l, sondern lediglich um 2,55 ct/l bis zum Jahr 2025, im Durchschnitt also um nicht einmal einen halben Cent pro Jahr.
Vergleicht man die Abgabenentwicklung mit der voraussichtlichen Einkommensentwicklung bleiben die Abgaben je Liter nahezu konstant (+0,54 ct/l von 2019 bis 2025, s. Bild 1). Der ursprüngliche Vorschlag der Bundesumweltministerin, der damit immer noch hinter den Prognosegrundlagen des Bundesverkehrswegeplans 2014 blieb (Holz‐Rau, Mattioli 2019: 16), hätte immerhin 8,2 ct/l für das Jahr 2020 und 19,3 ct/l für das Jahr 2025 ergeben.
Der Beschluß und seine Kommunikation führen zu einer eingebildeten Mehrbelastung, die mangels Inflations und Einkommensbereinigung deutlich höher erscheint als sie ist. Der Beschluß zur CO2Bepreisung gibt keinen Anreiz zur CO2Einsparung und keine Begründung für eine Kompensation.
2 Für den Zeitraum von 2003 bis 2018 sind die Preise in Deutschland um 24,3 %, die Nettoeinkommen um 32,6 % gestiegen (oder um 1,46%/a bzw. 1,89%/a) (berechnet nach statista 2019a und b). Diese Werte liegen den Berechnungen zugrunde.
 
2 Die erhöhte Entfernungspauschale
Trotzdem wurde beschlossen die Entfernungspauschale zu erhöhen (5 ct/km ab dem 21sten Kilometer einfache Entfernung befristet bis zum 31.12.2026, Die Bundesregierung, 2019: 5), um ein Vielfaches der geringfügigen Mehrkosten. Denn bei einem Verbrauch von 8 l/100 km und inflationsbereinigten Zusatzbelastungen von 2,55 ct/l bis zum Jahr 2025 steigen die Kosten nur um 0,20 ct/km. Bei einer einfache Entfernung von 50 km und einem Grenzsteuersatz von 45 % bleiben durch die Entfernungspauschale im Jahr 2025 129 € mehr im Portemonnaie, bei 100 km sogar 351 € (in Preisen von 2019, s. Tab. 1). Wer geringe Einkommen oder kurze Arbeitswege hat, geht dagegen leer aus.
 
3 Erfolgreicher Klimaschutz läßt Steuereinnahmen sinken
Bei Erreichen der Klimaschutzziele 2030, auf die sich die Bundesregierung gleichzeitig festgelegt hat (2019: 8), werden 40 % bis 42 % weniger Kraftstoffe verbrannt, verkauft und bezahlt. Eine erfolgreiche Klimapolitik im Verkehr kann daher die Autofahrerinnen und Autofahrer entlasten, selbst bei steigenden Kraftstoffpreisen. Umgekehrt stellt sich aber die Frage nach einer Kompensation der Mindereinnahmen des Staates. Die Einnahmen werden in den nächsten zehn Jahren abhängig von der Höhe des CO2‐Preises sinken, ab 2050 mit dem Ziel der Nullemission entfällt diese Einnahmequelle nahezu vollständig. Um die Verkehrsinfrastruktur in Zukunft zu erhalten und zu modernisieren, müssen weitere Einnahmequellen erschlossen werden ‐ z. B. Straßenbenutzungsgebühren.3
3 Rechtlich sind Steuereinnahmen nicht zweckgebunden. Die Höhe der Energiesteuer auf Kraftstoffe stand aber immer im Zusammenhang mit den Ausgaben für die Verkehrsinfrastruktur.
 
4 Schlußfolgerungen
Die bis 2025 beschlossenen CO2‐Preise mit der erhöhten Entfernungspauschale setzen nicht nur keine Anreize zur Reduzierung der CO2‐Emissionen im Verkehr, sondern wirken diesen sogar entgegen. Daher sei abschließend betont:
Der jetzt beschlossene geringe CO2‐Preis verbunden mit der erhöhten Entfernungspauschale wirkt, unabhängig von weiteren Einzelmaßnahmen, im Verkehrssektor gegen die Ziele des Klimapakets.
Die Kommunikation und vermutlich auch die Entscheidungsfindung im Klimakabinett erfolgten auf Basis von nominalen Preisen, die weder die Inflation noch die Einkommenssteigerungen berücksichtigen. Dies ist irreleitend und führt zu einer drastischen Überschätzung der Belastung von Bürgerinnen und Bürgern.
Um solche Fehleinschätzungen bei langfristigen Entwicklungen zu vermeiden, sollte bei der Überarbeitung der Beschlüsse die Energiesteuer mit einem Inflationsausgleich versehen werden. Dies hilft auch Mißverständnisse und Debatten über Steuererhöhungen zu versachlichen, wenn es ‐ wie hier ‐ gar nicht zu realen Mehrbelastungen kommt.
Beim Erreichen der Minderungsziele, auf die sich das Klimakabinett festgelegt hat, gehen die Einnahmen aus Energiesteuer und CO2‐Preis zurück, nach den Zielen für 2050 nahezu auf null. Es bedarf daher tatsächlich einer Kompensationsdebatte, über die Kompensation der Mindereinnahmen des Staates, zu der auch die Einführung einer allgemeinen Straßenmaut gehören kann.
Die Beschlüsse und die öffentliche Diskussion über höhere Abgaben auf Benzin basieren auf methodischen Fehlern, die sich durch die konsequente Einbeziehung der Wissenschaft hätten vermeiden lassen.
 
Quellen
BMFi (Bundesfinanzministerium) (2019): Grundlagenwissen zum Benzinpreis und seiner Entwicklung.
Die Bundesregierung (2019): Eckpunkte für das Klimaschutzprogramm 2030 (Fassung nach Klimakabinett). https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975202/1673502/768b67ba939c098c994b71c0b7d6e636/
2019‐09‐20‐klimaschutzprogramm‐data.pdf?download=1
DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin) (2019): Für eine sozialverträgliche CO2‐Bepreisung. In: Politikberatung kompakt 138 Statista (2019a): https://de.statista.com/statistik/daten/studie/2550/umfrage/entwicklung‐desverbraucherpreisindex/ (Zugriff 30.9.2019)
 
Folgenden Kolleginnen und Kollegen danke ich für die Unterstützung bei Kontrolle und Überarbeitung sowie der inhaltlichen Zustimmung:
Prof. Dr.Ing. Bernhard Friedrich (TU Braunschweig), Prof. Dr.Ing. Markus Friedrich (Universität Stuttgart), Prof. Dr.Ing. Regine Gericke (TU Dresden), Prof. Dr.Ing. Jürgen Gerlach (Universität Wuppertal), Prof. Dr. Ing. Carsten Gertz (TU HamburgHarburg), Prof. Dr.Ing. Felix Huber (Universität Wuppertal), Prof. Dr.Ing. Tobias Kuhnimhof (RWTH Aachen), Prof. Dr.Ing. Bert Leerkamp (Universität Wuppertal), Prof. Dr.Ing. Wilko Manz (Universität Kaiserslautern), Prof. Dr.Ing. Uwe PlankWiedenbeck (BauhausUniversität Weimar), Prof. Dr.Ing. Ulrike Reutter (Universität Wuppertal), Prof. Dr. Oliver Schwedes (TU Berlin), Prof. Dr.Ing. Carsten Sommer (Universität Kassel), Prof. Dr.Ing. Dirk Wittowsky (Universität Duisburg Essen) Prof. Dr.Ing. Christian HolzRau (TU Dortmund)
 
Prof. Dr.‐Ing. Christian Holz‐Rau
TU Dortmund, Fakultät Raumplanung
Verkehrswesen und Verkehrsplanung