Quo vadis Esprit?

Alexander Marusch versemmelt Molières „Der Geizige“

von Frank Becker

v.l.: Alexander Peiler, Thomas Braus, Julia Meier, Martin Petschan, Stefan Walz - Foto © Uwe Schinkel

Quo vadis Esprit?
 
Alexander Marusch versemmelt, Folge 2
 
Inszenierung: Alexander Marusch - Bühne & Kostüme: Gregor Sturm – Dramaturgie: Barbara Noth – Regieassistenz: Jonas Willardt – Choreographische Betreuung: Sophia Otto - Inspizienz: Charlotte Bischoff - Fotos: Uwe Schinkel
Aufführungsdauer: ca. 1¾ Stunden, eine Pause
 
Besetzung: Harpagnon (Stefan Walz) - Cléante (Martin Petschan) – Élise (Julia Meier) – Mariane (Luise Kinner) - Frosine u.v.a.m. (Philippine Pachl) - Valère (Alexander Peiler) – Jacques / La Merluche / Brindavoine u.v.a.m. (Thomas Braus)
 

Wenn man die Natur gewähren läßt,
wird sie von selbst mit allen Störungen fertig.
(Molière)
 
An der Allonge herbeigezogene Klamotte
 
Also wirklisch, isch weiset nit: So jet hät dä Molière övverhaupt nit verdient, wo doch dem sing funkelender Name ein Jarant für scharfsinnije Jesellschafts-Komödien ist. Man soll ja schon in der Nacht zum Sonntag vom Cimetière du Père-Lachaise verdächtije Jeräusche jehört haben.
 
Verzeihen Sie bitte den billigen Einstieg, liebe Leser, doch ist er dem Theater angemessen, das Alexander Marusch mit seiner Inszenierung von „Der Geizige“ am vergangenen Samstagabend am Wuppertaler Schauspiel abgeliefert hat. Mit im Boot erneut

Foto © Uwe Schinkel
Gregor Sturm für Bühne und Kostüme. Schon die „Pension Schöller“ fiel vor anderthalb Jahren diesem Duo durch bis zum Exzeß überzogene Verfremdung in Sprache und Bewegung und unangenehm groteske Überzeichnung der Charaktere an nämlicher Stelle zum Opfer. Nun hat Marusch wiederum den Versuch unternommen, einen Klassiker der Komödie „ganz neu“ zu erfinden: „Wo könnte so ein Plot, eine verschärfte Mischung aus Knappheit der Mittel, Zeitdruck und widerstrei­tenden Temperamenten, besser angesiedelt sein als im Theater? Die Szene zeigt uns die rückwärtige Ansicht eines Tourneetheater­-Familienbetriebs, in dem durchaus drei Vorstellungen am Tag über die Bretter gehen, in dem der Prinzipal mit aller Macht das Geld zusammenhält und gern auch mal die Tageseinnahmen vor dem Zugriff der Kinder und Angestellten versteckt.“ Soweit ein Auszug aus der versuchten Rechtfertigung für diesen Frevel.

Am 9. September 1668 wurde „Der Geizige“ im Pariser Théatre du Palais Royal mit nur mäßigem Erfolg uraufgeführt. Theaterwissenschaftler suchen den Grund in der von Molière überraschend angewandten Prosa anstelle des gewohnten Versmaßes. Heute jedoch gilt es als eines der wahren Meisterwerke Molières. Marusch & Sturm scheitern 411 Jahre danach mit ihrem untauglichen Versuch – verschlimmbessern sagt man wohl. Der Esprit Molières ist durch Mummenschanz und abgenutzte Ausstattung (wie nur kommt man auf Andy Warhols „Campbell´s Tomato Soup?) gründlich auf der Strecke geblieben. Erneut haben sich die beiden Herren, im Bestreben schrecklich originell zu sein, mächtig übernommen – sie haben es wieder versemmelt und müssen sich für diese Klamotte zum zweiten Mal eine „Zitrone“ an die Brust heften lassen.


Intrige 1 - v.l.: Philippine Pachl, Julia Meier, Luise Kinner, Martin Petschan - Foto © Uwe Schinkel

Aber sie haben auch Glück, denn es steht ihnen wie schon 2018 ein Ensemble mit fast gleicher starker Besetzung zur Verfügung, das durch Brillanz – man schließe einfach die Augen und blende den Bühnen- und Kostüm-Unfug aus – einiges wettmacht.
„Der Geizhals“ wirkt bei aller teils burlesken Komik als erschütterndes Drama. Seine ganze Familie lehnt sich gegen den geldgierigen und despotischen Vater Harpagnon (Stefan Walz) auf, der die von seinem Sohn Cléante (Martin Petschan) angebetete Mariane (Luise Kinner) aus kommerziellem Interesse ehelichen will. Vater und Sohn führen mit fatal zunehmendem Haß und Ränkespielen den Kampf um Liebe (und auch um das liebe Geld). Auch Tochter Élise (Julia Meier) wird unter diesen Bedingungen nie den als Domestik sozial niedriger stehenden geliebten Valère (Alexander Peiler) zum Mann bekommen, wenn nicht raffinierte Kabale durch Frosine (Philippine Pachl) und Jacques (Thomas Braus) das Blatt wenden können. Nun, es ist bei aller Tragik eine Komödie, also wird es gelingen. Der Zusammenprall von David und Goliath wird zwar höchst dramatisch ausgetragen, aber die elegant-bissige Form des Lustspiels aus der Feder Molières findet nicht statt. Als Stefan Walz und Martin Petschan bei der Spielzeit-Präsentation am 8. Septmber den zentralen Vater-Sohn-Dialog im dunklen Anzug mit weißem Hemd sprachen, hatte man noch Hoffnung. Perdu.
 
Immerhin: Der Hüne Stefan Walz gibt dem Harpagnon mit gewaltiger Bühnenpräsenz alle Facetten zwischen Hochmut, Gier, Geiz, Gemeinheit und Larmoyanz, die es für diesen Charakter braucht. Martin Petschan, schon durch körperliche Unterlegenheit das Idealbild des auf pfiffige List angewiesenen Cléante, spielt das Wachsen von der Maus zum Löwen berührend. Apropos, berührend ist auch die verzweifelt liebende Élise (Julia Meier) in geschwisterlicher Solidarität. Den komödiantischen Vogel schießt allerdings Luise Kinner als Mariane ab, die durch winzige Gesten und Blicke für spontane Lacher sorgt. Und da ist dann noch die vielseitige Philippine Pachl, der ein quälend billiger Kölner Dialekt aufgezwungen wurde (siehe oben), der peinlich, nicht komisch wirkt. Und Intendant Thomas Braus spielt mit, hier in vielen Rollen, u.a. als Faktotum Jacques, ein Vollblut-Schauspieler, den man überhaupt nicht kaputtinszenieren kann. Sein Witz blitzt immer. Aber daß er Marusch & Sturm zum zweiten Mal zugelassen hat, darf man ihm schon ein wenig übel nehmen.


Intrige 2 - v.l.: Martin Petschan, Thomas Braus - Foto © Uwe Schinkel

Weitere Informationen:  www.wuppertaler-buehnen.de