Letztlich nur wieder einmal wie ein Aufguß bekannter Themen.

„Nevrland“ von Gregor Schmidinger

von Renate Wagner

Nevrland
Österreich / 2019

Regie: Gregor Schmidinger
Mit: Simon Frühwirth, Josef Hader, Paul Forman u.a.
 
Der junge Mann läuft durch den Wald, aber sobald er nach Hause kommt, ist er in der trübseligsten aller Welten. Sein Vater spricht nur das Nötigste mit ihm, er scheint ein Mann, der kaum mehr lebt, gerade noch funktioniert. Jakob, der 17jährige mit dem geschorenen Kopf und dem ausdrucksvollen Gesicht eines jungen Pharao, schweigt meist. Setzt sich abends an den Computer und chattet mit Unbekannt, auch in Richtung Autoerotik. Bekommt an der Seite seines Vaters einen Aushilfsjob in einem Schlachthof – meist Blut wegwaschen. Immer wieder schneidet Regisseur Gregor Schmidinger die Szenen dieser ultimativen Trostlosigkeit nacheinander. Man fühlt sich klaustrophobisch, wenn man nur zusieht.
Dann bricht Jakob zusammen. Spital, Untersuchung, nichts Körperliches, was „Psychologisches“. Die Spielchen, mit denen der Psychiater die Angststörung bewältigen will, kommen Jakob (und dem Zuschauer) einfach nur teppert vor, und Jakob sagt es auch. Seine Befreiung bekommt im Computer einen Namen: Kristjan. Der Amerikaner, mit dem er sich in simplem Englisch unterhält. Und den er dann trifft – im Kunsthistorischen Museum, wo Jakob davor nie war.
 
Nein, es wird kein „Entwicklungsroman“, es geht nicht um Bildung, es geht um Gefühle, die aus Jakob nach dem Begräbnis des Großvaters so richtig hervorbrechen. Und dann wird der Film, den der Linzer Regisseur Gregor Schmidinger (seine erste abendfüllende Arbeit) zuerst einmal eine schwule Geschichte, lyrisch, vorsichtig zwischen den beiden, Jakob hatte noch nie körperlichen Kontakt – da spielt auch Jakobs „Birthmark“, ein riesiges, die ganze Schulter umfassendes Muttermal eine gespenstische Rolle, das Kristjan offenbar fasziniert. Und das Gefühl der Nähe, das zu existenziellen Fragen führt, die Jakob mit diesem Partner aussprechen kann…
Wie würde man sich fühlen, wenn man wüßte, daß man sterben muß, fragt Jakob, noch den Tod des Großvaters in den Knochen. Nun, Kristjan ist offenbar ein Performance-Künstler, der sich auf vielen Ebenen herumtreibt (wie auch der Regisseur des Films). Darum wird der letzte Teil – es bleibt offen, ob Jakob je aus dem „Trip“ herauskommt – besonders. Das ist ein anderes „Neverland“ als jenes von Peter Pan, es ist ein echtes „Nevrland“, fremd und beängstigend. Was der Junge erlebt, als er nach dem Sex zögernd die von Kristjan angebotene Wasserpfeife raucht („eine Art von LSD“, sagt dieser), erweist sich dann als eine brillante Angst-Höllenfahrt, in der er auch sich selbst als kleinem Jungen begegnet (ein bißchen früh für einen 17jährigen, solche Erkenntnisse kommen ja im allgemeinen in späteren Jahren?) und wo man als Zuschauer gänzlich mitgerissen wird…
 
Der Regisseur hat auch hervorragend besetzt, sein Hauptdarsteller, der 18jährige Wiener Simon Frühwirth, kassierte zu Recht für seine Studie verinnerlichten schmerzlichen Lebens einen Diagonale-Preis, und Josef Hader als der leblose Vater liefert eine Meisterstudie. Mit großer Sensibilität führt Paul Forman sowohl in schwule wie auch irrale Welten ein.
Und doch: Der Film würde stärker unter die Haut gehen, wenn das, was er erzählt, nicht medial bereits zu sehr abgegriffen wäre – die einsame Jugend, Schweigen und Verständnislosigkeit, der Chat, die Homosexualität, der Trip. So wirkt „Nevrland“ letztlich nur wieder einmal wie ein Aufguß bekannter Themen. Allerdings formal durch die Fähigkeit des Regisseurs bemerkenswert, mit Bildern und Tönen in halluzinatorische Welten mitzunehmen.
 
Vorschau    
 
Renate Wagner