Thomas Braus - und die Kunst der Kontrolle

Ein großer Gewinn für das Wuppertaler Theater

von Frank Becker

Foto © Bergische Zeit
Thomas Braus - und die Kunst der Kontrolle
 
Seit dem Herbst 2001 gehört ein Schauspieler zum Ensemble der Wuppertaler Bühnen, der enorme Begabung, beeindruckendes handwerkliches Können und die unwiderstehliche Kraft eines faszinierenden Charismas in sich vereinigt.
 
Thomas Braus, darüber sind sich Theaterbesucher und Experten einig, ist ein großer Gewinn für das Wuppertaler Theater. 5.000 Seelen hat das Städtchen Kenzingen im Weinbaugebiet am Kaiserstuhl. Kein Ort für hoch fliegende Theaterpläne. Deshalb dachte der 1966 geborene Thomas Braus, Sohn eines Försters und einer von fünf Brüdern, nie daran, einmal Schauspieler zu werden. Ihm lagen die Naturwissenschaften, wie es in seiner Familie üblich war. Die Mathematik faszinierte den Schüler des lokalen Gymnasiums. Daß er in die von einem ehemaligen Schauspieler geleitete Theater-AG seiner Schule eintrat, wo er ein paar stumme Rollen übernahm, war Ergebnis des Drängens von Kameraden, ein Jux. Aber irgendwie setzte sich etwas in dern jungen Mann fest, das ihn nach Abitur und Zivildienst 1988 dazu bewegte, sich bei Schauspielschulen zu bewerben. Das erste Ergebnis war niederschmetternd: In Essen wurde ihm bescheinigt, daß er völlig untalentiert sei und lieber einen anderen Beruf mit Sch... ergreifen solle - Schuster zum Beispiel.

     Ein in Münster aufgenommenes Studium der Psychologie und Soziologie währte nur zwei Semester. Thomas Braus bewarb sich wieder. Am Hamburger Schauspielhaus sprach er vor. Man engagierte ihn zwar nicht, beschwor ihn jedoch, sofort in den Schauspielerberuf einzutreten, denn er sei sehr begabt (!). Braus bewarb sich erneut und wurde zugleich von drei österreichischen Hochschulen angenommen. Er gab Graz den Vorzug und studierte hoch angesehen (...der Heerr Studeent aus Deutschland...) von 1989 bis 1993 Schauspiel. Während des Studiums bekam der Badener sein erstes Engagement beim ORF in der Rolle eines Schwaben. Andere Sprecherrollen und das Mitwirken beim Steirischen Herbst in Graz folgten. Als Braus während der Semesterferien eine Tante in Karlsruhe besuchte und „nur mal“ beim Pförtner am Theater dort nachfragte, ob und wie man eventuell eine Rolle bekommen könne, wurde er vom Fleck weg als Jugendlicher Liebhaber für Jura Soyfers „Astoria“ engagiert. Über diesen an sich vergessenen Autor schrieb er dann auch in Graz seine Magisterarbeit und verließ die Hochschule als diplomierter Schauspieler mit Magisterhut (M.A.).

     Sein erstes festes Engagement führte den jungen Mimen nach Heilbronn, das ihm einen Start á la bonne heure ermöglichte, wie er nur an kleineren Häusern möglich ist. Da nämlich muß man viel und alles spielen. Sofort bekam er unter Intendant Klaus Wagner, der ihm so etwas wie ein Ziehvater wurde, große Rollen. Den wunderbaren Schurken Franz Moor in Schillers „Die Räuber“ durfte er ganz am Anfang geben, der Sultan Saladin in Lessings „Nathan“ folgte. Braus spielte den Don Rodrigo in Claudels „Der seidene Schuh“, einen jungen Rabauken, der sich im Lauf des Stückes zum weisen alten Mann entwickelt. Er gab die bäurische Figur des George Dandin in Molières gleichnamiger Ballettkomödie und zur Eröffnung des dritten Hauses des Heilbronner Schauspiels (man hat in der 118.000 Einwohner zählenden Stadt am Neckar drei Theater mit durchschnittlich 98 Prozent Auslastung) die Figur des Friedrich Wetter vom Strahl in Kleists „Käthchen von Heilbronn“, einen brutalen Mann, der die Liebe entdeckt. Hier wie in vielen anderen Rollen fesselte ihn vor allen die Verkörperung vielschichtiger Charaktere, gebrochener Figuren. In Hebbels „Maria Magdalena“ spielte er den Sekretär und in dem Drama „Corpus Christi“ mit viel Furore und unter Polizeischutz den Judas. Eine prägende Erfahrung, denn wann erlebt ein Schauspieler schon Bombendrohungen gegen das Theater durch klerikale Fanatiker, uniformierte Polizisten auf der Bühne und Haßattacken in Presse und „aufgeklärter“ Öffentlichkeit?

     Seine Darstellung des Macbeth in Shakespeares gleichnamigem Drama sahen sich der Intendant der Wuppertaler Bühnen Gerd Leo Kuck und sein Schauspiel-Leiter Wilfried Harlandt an und engagierten ihn. Also zog der inzwischen mit einer Kollegin verheiratete Schauspieler nach Wuppertal um, fand in Barmen eine schöne Altbauwohnung und wurde im Handumdrehen zum Liebling des Theaterpublikums. Die Familie fühlt sich rundum wohl in Wuppertal, die Kinder (5 und 4) haben Freunde im Kindergarten gefunden und Sohn Lasse ist schon zur Schule angemeldet. Man darf also hoffen, daß Thomas Braus samt Familie dem Wuppertaler Theater vorläufig erhalten bleibt, wenn auch angenommen werden muß, daß größere Häuser schon auf den Ausnahme-Darsteller aufmerksam geworden sind. Wer ihn in als Erzkomödianten in „Shakespeares sämtliche Werke - leicht gekürzt“, in seiner burlesken Rolle als der Mann in „Calldewey Farce“ und komisch wie ergreifend in „Heute weder Hamlet“ (seinem ersten Solo-Stück) oder jüngst mit dem dramatischen Psychogramm des Francois in „Polygraph“ gesehen hat, kann das dem mit dem Rücken zur Wand stehenden traditionsreichen Wuppertaler Schauspielhaus nur wünschen. Die Chancen stehen nicht schlecht, denn seine Kinder haben sich schon vehement für Wuppertal ausgesprochen und in den Barmer Anlagen, unmittelbar vor seiner Haustür, findet der passionierte Bergläufer („Marathon ist mir zu langweilig.“), der die Natur liebt, beste Trainingsmöglichkeiten.

     Thomas Braus bekennt sich zur Perfektion, sagt: „Wenn ich etwas tu, will ich es leidenschaftlich tun - nicht 80, sondern 100 Prozent geben.“ Halbherzigkeiten sind ihm zuwider. Der drahtige Mann mit den braunen Augen sucht, wie im Sport, das Extreme, um es auszudeuten. So kennen und schätzen ihn die Theaterbesucher. Seine Kunst der Kontrolle über extreme Emotionen auf der Bühne im Spiel, das Hineinwerfen ohne Ressentiments, aber auch ohne technische Kälte, fordert Bewunderung ab, macht Theater zum Hochgenuß. Von Heilbronn her gewohnt, vor vollen Häusern zu spielen, war Braus von der sehr geteilten Annahme des Wuppertaler Theaters durch das Publikum überrascht. Schauspieler wie er haben das Zeug, das zu ändern.
 
Frank Becker, 2.6.2003