Durchaus einen Kinobesuch wert

„Gloria – Das Leben wartet nicht“ von Sebastián Lelio

von Renate Wagner

Gloria – das Leben wartet nicht
(Gloria Bell - USA 2018)

Regie: Sebastián Lelio
Mit: Julianne Moore, John Turturro u.a.
 
Ein Mangel an Teenie-Filmen ist im Angebot der stets neu produzieren Streifen nicht zu beklagen, wen wundert’s, schließlich gehen sie ins Kino und wollen ihre eigenen Probleme dargestellt sehen. Aber auch die Herrschaften in Richtung Silberhaar wollen Filme (und sie sind das ins-Kino-Gehen noch viel mehr gewöhnt, aus einer Zeit, wo sie nicht alles am Computer oder dem Smartphone fanden) – und da tut sich nun einiges. Oft geht es um Probleme, die durchaus „echt“ schmecken.
So wie bei Gloria: nicht mehr jung, unscheinbar, Brille, freundliche Ausstrahlung. Wenn sie ihre erwachsenen Kinder anruft, gehen diese nicht an den Apparat, und sie sagt ihnen fast verlegen paar nette Worte. Sie lebt in Los Angeles, arbeitet bei einer Versicherung, und nachts geht sie in Bars.
Aber, nein, keine spektakuläre Verwandlung in eine „Schöne der Nacht“ (hatten wir schon oft), sie will halt nur raus, wohl in der vagen Hoffnung, daß ihr bei solch einer Single-Parties jemand über den Weg läuft. Dabei hat diese Gloria nicht viel Geld, wenn sie ihre Mutter trifft, zahlt diese. Und sagt ihr eine Wahrheit: „Life goes by like a flash.“ Ja, stimmt.
Und irgendwann gibt es auch einen Mann, der sich für sie interessiert. Nett, zurückhaltend, geschieden. Wo ist die Achillesferse? Dieser Arnold hat zwei erwachsene Töchter, immerhin schon 27 und 31, Berufe haben sie nicht, und sie sind von ihm „abhängig“. Man wird noch erfahren, was das bedeutet – und was daraus resultiert.
 
Aber anfangs geht es gut. Er nimmt Gloria zu dem „Amusement Park“ mit, den er leitet. Zeigt ihr, wie man schießt. Sie küssen sich. Musik schwillt auf. Sex. Endlich das zweite Glück für zwei einsame Menschen?
Aber Regisseur Sebastián Lelio, Chilene aus der Arthaus-Welt, dessen Transvestiten-Film „Una mujer fantástica“ 2018 den Auslands-„Oscar“ gewann und der hier selbst das US-Remake seines eigenen chilenischen Originalfilms dreht, hat sich auch die Geschichte ausgedacht, die nicht glücklich enden soll.
Denn da sind die Töchter (die man kaum zu Gesicht bekommt): Wenn sie anrufen, läßt Arnold alles liegen und stehen, um ihre Probleme zu lösen. Und er wagt auch nicht, ihnen Gloria vorzustellen. Wenn sie Arnold hingegen zu einer Feier in ihrer eigenen Familie mitnimmt, trifft sie den Exgatten, von dem sie seit zwölf Jahren geschieden ist, mit einer neuen Frau. Sie erfährt, daß ihre schwangere Tochter zu ihrem Freund nach Schweden ziehen wird (und später sehen wir sie am Flughafen bei deren Abschied weinen).
Und alle, alle sind betreten bei diesem Familien-„Fest“. So locker geht das doch nicht immer mit den neuen Partnern. Mißverständnisse schmerzen, Auseinandersetzungen bleiben nicht aus. Und gesundheitliche Probleme muß es auch immer geben (Gloria verliert nach und nach ihr Augenlicht) – kurz, das Leben hat nicht immer ein Happyend bereit, die Tragik wirkt sich in den Alltag ein.
 
Gloria will es zwar noch einmal probieren – bei einer gemeinsamen Reise wohnen Arnold und sie übrigens in „Caesar’s Palace“ in Las Vegas… Nützt alles nichts. Kaum dreht sie sich um, telefoniert er schon wieder heimlich mit den Töchtern, die ihn in den Krallen haben. Merk’s: Familie kann eine Kette sein, die einen Menschen in den Abgrund zieht. Und: Wer sich aus seiner Vergangenheit nicht befreien kann, der hat keine Zukunft. Und es endet nicht gut… wie peinlich, daß es die eigene Mutter ist, die die kaputte Glora abholen muß.
Julianne Moore, die sich den 60 nähert, ohne daß man es bemerkt hat, ist großartig darin, sich in ihre jeweilige Figur zu verwandeln (man wird es auch demnächst sehen, wenn sie in „After the Wedding“ einen ganz anderen Charakter verkörpert). Gloria ist nie auf die Butterseite des Lebens gefallen. Umso bitterer, daß es wieder nicht klappt, wenn einmal die Möglichkeit am Horizont leuchtete… und umso kunstvoller, das ohne absichtsvolles Getue (Seht her, welch große Schauspielerin ich bin!) spüren zu lassen.
John Turturro war nie ein Heldentyp und immer ein großer Schauspieler. Sein Problem, zwischen Verpflichtungen und Gefühlen, zwischen Müssen und Wollen zerrissen zu werden, ist fast das interessantere.
Also, wer sich an guten Schauspielern ergötzt – da sind Moore und Turturro trotz trüben Geschehens durchaus einen Kinobesuch wert.
 
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Renate Wagner