Stippvisite in der ostfriesischen Provinz

Ein einladender Emden-Bericht

von Jürgen Koller

Das Rathaus von Emden - Foto © Margot Koller

Stippvisite in der ostfriesischen Provinz


Der Binnenländer muß schon ein gewisses Faible für die unendliche Weite der tellerflachen Landschaft, für den tief liegenden Himmel und für die von Prielen durchzogenen Weiden und Wiesen da oben im Norden entwickelt haben, um die Schönheiten Ostfrieslands zu preisen. Ganz am Ende des „Friesenspießes“, der BAB 31, liegt am Dollart, dem Flussdelta der Ems, die kleine, verklinkerte Stadt Emden. Als eine der ersten deutschen Städte wurde Emden wegen seiner Marine-Werften von den Alliierten im 2.Weltkrieg platt gebombt. Noch heute „zieren“ etliche Flak-Hochbunker das Stadtbild – genützt haben diese archaisch wirkenden  Betonwürfel seinerzeit den Emdener Bürgern nichts, ihre Stadt ging verloren.

Wiederaufbau mit norddeutscher Zähigkeit

Mit norddeutscher Zähigkeit wurde die 50.000 Seelen-Stadt wieder zum wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum Ostfrieslands aufgebaut. Backsteinbauten, ohne größeren architektonischen Reiz, bestimmen heute wie eh und je das Stadtbild. Es sind einige schöne innerstädtische Plätze entstanden – so am prachtvollen (neu erbauten) Alten Rathaus am Ratsdelft, welches das Ostfriesische Landesmuseum und das Stadtmuseum mit seiner bemerkenswerten Rüstkammer beherbergt. Einige der autofreien, niedrig bebauten innerstädtischen Straßen laden zum Bummeln, zum Einkaufen und zum Verweilen in Straßen-Cafés ein. Auch Hafenrundfahrten werden angeboten.
Im strukturschwachen Landstrich, der immer mit einer hohen Arbeitslosigkeit zu kämpfen hatte, bestimmen heute ein VW-Werk, eine Marinewerft und der westlichste deutsche Nordseehafen – Umschlag von Kraftfahrzeugen und Baustoffen - das Wirtschaftsgeschehen. Vom Emdener Außenhafen  aus besteht eine günstige Fährverbindung zur Insel Borkum.

Die Kunsthalle Emden - ein Juwel

Also nur ein ostfriesisches Provinznest, da oben im Norden, gegenüber den Niederlanden, getrennt  vom Dollart?
Nein, denn ein glanzvolles Juwel hebt die Stadt aus der norddeutschen Backstein-Beschaulichkeit heraus – die Kunsthalle Emden.
Henri Nannen, 1913 in Emden als Sohn eines Polizeibeamten geboren, hat  sich und seiner Heimatstadt nach seiner jahrzehntelangen Berufstätigkeit  als Verleger und Macher des „stern“ mit der Kunsthalle ein Denkmal der besonderen Art gesetzt.
Nannen hat seine umfangreiche Sammlung deutscher Expressionisten sowie Arbeiten zeitgenössischer Malerei und Plastik, die zwar mit herausragenden Werken bestückt war, der es aber doch etwas am „Gesamtklang“ mangelte, in eine Stiftung eingebracht und darüber hinaus auch noch die Baukosten (!) für den Kunsthallenbau aufgebracht. Der Journalist und Zeitschriftenmacher nutzte seinen außerordentlichen hohen Bekanntheitsgrad, um allerorten bei der Wirtschaft und ihren Verbänden, bei der Landes- und Kommunal-Politik und bei der Kunstöffentlichkeit Geld für sein Projekt einzuwerben. Und Henri Nannen war so erfolgreich, daß bereits 1986 die Kunsthalle, entworfen von Architekt Friedrich Spengelin, im Beisein des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker eröffnet werden konnte. Ein genialischer, zweckorientierter Backstein-Bau aus Bockhorner Klinker, mit nach Norden ausgerichteten Sheddächern und naturbelassenem Holzgewerk. Der Bundespräsident  sprach von einem Museum mit „so menschlichen Dimensionen“.

Expressionismus und Avantgarde

So wie Nannen einst seinen „stern“ managte, hat er auch bis zu seinem Tod im Jahre 1996 diesen Publikumsmagnet Kunsthalle Emden selbst mit Kraft, Autorität und Agilität als Museumsmann, Regisseur und Ausstellungsmacher geführt.
Nannen, da kein Fan der Avantgarde, hat er diese auch nicht gesammelt. Und doch gelang es ihm, den Münchener Galeristen Otto van de Loo dafür zu gewinnen, seine Sammlung von Werken der Künstlergruppen „Cobra“ und „Spur“ nach Emden zu geben. Van de Loo stimmte unter der Maßgabe zu, daß seine Kollektion ständig präsentiert werden müsse – das bedeutete einen Anbau, der sich vorzüglich in das bestehende Gebäude einfügte. Diesen Erweiterungsbau zu realisieren war die  Aufgabe von Geschäftsführerin Eske Nannen, der dritten Ehefrau von Henri Nannen.


Erweiterte Kunsthalle Emden heute - Foto © Magot Koller

Kurz vor dem Tod Henri Nannens wurde  Eske Nannen Mitglied der Stiftung, und so firmiert die Kunsthalle Emden heute als „Stiftung Henri und Eske Nannen und Schenkung Otto van de Loo“.

Wieder reichten die Ausstellungsflächen nicht mehr aus, auch die klimatischen Bedingungen in der Kunsthalle entsprachen nicht mehr den Vorgaben des internationalen Leihverkehrs von Kunstgut. Dazu kam noch, daß das Foyer mit Kasse und der Museumsshop zu wenig funktional und repräsentativ waren für so ein hochfrequentiertes Haus.
Nach 20 Monaten Umbauzeit konnte die Neueröffnung im Dezember 2007 mit einer anspruchsvollen Schau unter dem Titel „Garten Eden – Der Garten in der Kunst seit 1900“ gefeiert werden.
Der Querriegel links vorn in der Abbildung und die großzügige Eingangs- Fensterfront – wegen des Sonnenlichts gerade automatisch abgedunkelt – wurden neu gebaut. Zwischen der gleichfalls neu angelegten  „Sonnentreppe“ und der Zuwegung ist noch ein schmaler Kanal, so daß man auch mit einem Boot zur Kunsthalle fahren könnte. Im Innern des Kunsthallen-Baus wurde das Skulpturen-Atrium überdacht und so noch ein kleiner Mehrzweck-Saal geschaffen. Aus konservatorischen Gründen erhielten alle Klinker-Ausstellungsflächen einen Putzauftrag mit integrierter  Klimatisierung.

Die aktuelle Präsentation und eine Vorschau auf kommende Ausstellungen:

12. April -22. Juni 2008
David Nash Retrospektive –Holzskulpturen

28. Juni – 14. September 2008
Sommerzeit: Sammlung Henri Nannen und Schenkung Otto van de Loo
Uwe Kowski. Malerei 2005 bis 2008

20. September – 30. November 2008
Von Munch bis Beckmann, von Jorn bis Gertsch. 100 Jahre Holzschnitt

Weitere Informationen über das Museum: www.kunsthalle-emden.de
E-mail: kunsthalle@kunsthalle-emden.de

Maritime Relikte

Neben der attraktiven Kunsthalle ist der Ratsdelft, also der Innenstadthafen Emdens, sehenswert für


Feuerschiff "Deutsche Bucht"
Foto © Margot Koller
maritim interessierte Besucher. Am Delft liegt das alte Feuerschiff “Deutsche Bucht“ aus dem Jahre 1917, und auch ein außer Dienst gestellter Rettungskreuzer hat dort festgemacht.

Schräg gegenüber ist ein kleiner „Dampfer“ der ehemaligen weißen Flotte der DDR fest an der Mole vertäut worden. Heute heißt das Schiff „ Freundschaft“ und dient als Heimstatt für eine Segelschule, doch der Name „Deutsch-Sowjetische-Freundschaft“ mit dem Heimathafen Stralsund ist noch gut zu lesen. In den 60er und 70er Jahren, vielleicht auch noch später, schipperte das Schiff mit diesem  liebedienerischen Pseudo-Freundschaftsnamen die ‚Werktätigen’ von Stralsund aus nach Binz, Sellin, Baabe und Göhren auf Rügen. So haben all die alten Schiffe des Emdener Ratsdelfts ihre Geschichte.

Zum Schluß noch etwas Lukullisches – neben der „Freundschaft“ befindet sich am Ende der Mole die bekannteste Fisch-Bude Emdens, eine alteingesessene Institution für Kenner. Nichts geht über ein frisch belegtes Brötchen mit Emdener Matjes oder einen gebackenen Fisch mit Pommes!


Fest vertäut liegt die alte „Deutsch-Sowjetische-Freundschaft“ am Ratsdelft


Foto © Margot Koller

Foto © Margot Koller