Beckfelds Briefe

An Marianne Rosenberg

von Hermann Beckfeld

© 2014 Columbia
Ihre Hits von damals kennt fast jeder, ihre Geschichte kaum einer. Marianne Rosenberg ist die Tochter eines Sinto, der von Nazis grausam gequält wurde. Sie selbst fühlte sich jahrelang als Marionette ihrer Manager, verdiente Millionen und wohnte doch in einer WG in einem besetzten Haus.
 
Liebe Marianne Rosenberg,
vor mehr als 27 Jahren, am 24. März 1990, haben wir uns das letzte Mal gesehen. Ich schrieb eine Reportage über die Sendung „Flitterwochen“, durfte hinter die Kulissen der Samstagabendshow von Michael Schanze schauen.
Vor Ihrem Auftritt habe ich Sie beobachtet. Sie saßen allein an einem Tisch in der Künstlerkantine, wirkten sehr angespannt und rauchten eine Gauloises nach der anderen. Auf der Bühne, wie so häufig ganz in düsterem Schwarz gekleidet, mit Hut, einer Art Mantel und Nylonstrümpfen, sangen Sie „Ich denk an Dich“, einen erfolgreichen Schlager, aber längst nicht so kultig wie Ihre Hits, die wir in- und auswendig kennen, die nach Mitternacht zu jeder richtig guten Party gehören: „Er gehört zu mir“, „Fremder Mann“ oder „Marleen“ – eine von uns beiden muß nun gehen, grölen wir dann mit und fühlen uns so jung, fühlen uns so frei und unbeschwert, wie damals, als die 16-, 17-jährige Marianne die Hitparaden stürmte, Ottos gewann, in der „Bravo“ Schlagzeilen schrieb und doch irgendwie verloren im Scheinwerferlicht stand: wie hingestellt, fremdgesteuert.
„Ich habe gebetet, daß die Umsätze zurückgehen, kam mir vor wie eine Marionette meiner Manager, hatte zu funktionieren“, haben Sie in Ihrer Biografie geschrieben. Aus ihr lese ich heraus, daß auch Ihr Vater schon über Sie bestimmt hat, als Sie gerade mal vier, fünf Jahre alt waren. Wenn ihm in seinem Lokal in Berlin danach war, rief er Ihre Mutter an. Sie sorgte dann dafür, daß Klein-Marianne mit dem Taxi kam und auf dem Tisch für die Gäste sang.
Was für ein gespaltenes Leben, in dem Sie immer zwischen den Stühlen standen, überall dabei waren, aber nirgendwo dazugehörten. Sie sind die Tochter eines Sinto und einer Berlinerin, „ich wurde zwischen zwei Welten geboren“. Das Mädchen, im Showgeschäft ein naives Küken, in der Schule die beneidete Sängerin, aber auch die schwarzhaarige Zigeunerin. Die junge Frau, die reihenweise Talentwettbewerbe gewinnt, doch beim Schlagerfestival 1970 in Rio von Jurymitglied Paul Simon abgestraft wird; der weltbekannte Sänger an der Seite von Art Garfunkel erklärt schon vorher, Ihnen keine Punkte geben zu wollen, weil Sie aus Deutschland kommen.
 
Eine der erfolgreichsten Schlagersängerinnen, die ein Vermögen verdient, aber mit der linksrevolutionären Szene des Lebensgefährten sympathisiert, der in einer WG in einem besetzten Haus lebt. Die Komponistin, Texterin und Autorin, die Castingshows als „Menschenverwertungsmaschinen“ kritisiert, um dann neben Dieter Bohlen in der Jury von „Deutschland sucht den Superstar“ zu sitzen.
Was hat Sie geprägt? Die Sehnsucht, nur das zu tun, was Ihnen gefällt? Der Wunsch nach einer eigenen Identität, nach Freiheit? Die Enttäuschung über Menschen, die Ihnen Schmerzen zufügten, weil Sie mit Ihrer Seele spielten? Natürlich gehört zu Ihrem Leben die unvorstellbar grausame Leidensgeschichte Ihres Vaters. Seine gesamte Sinto-Familie wird von den Nazis terrorisiert. Sie sperren Otto Rosenberg in ein Berliner Zwangslager, es folgen die Konzentrationslager Buchenwald, Mittelbau-Dora und Auschwitz, wo er SS-Verbrecher Josef Mengele die Schuhe putzen muß. Elf Geschwister und die Eltern werden ermordet. Otto Rosenberg, später Berlin-Brandenburger Landesvorsitzender der Sinti und Roma, überlebt als Einziger, schlägt sich als Musiker durch, managt seine Tochter. Seine KZ-Nummer Z6084 auf seinem Unterarm überdeckt er mit einer neuen Tätowierung. Sie zeigt einen Engel.
 
Liebe Marianne Rosenberg,
„Ich bin wie Du, wir sind wie Sand und Meer … Er gehört zu mir, wie der Name an der Tür ... Lieder der Nacht, für uns gemacht …“ Ab der ersten Zeile sind wir textsicher, singen mit, so wie wir seit vierzig Jahren mitsingen. Damals waren Sie unser Schlagermädchen, heute sind Sie eine erwachsene Frau, die ein Recht auf ihre Geheimnisse hat.
(23.09.2017)
 
 
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags Henselowsky Boschmann.
„Beckfelds Briefe“ erscheinen jeden Samstag im Wochenendmagazin der Ruhr Nachrichten.
„Beckfelds Briefe“ gibt es auch in Buchform 

Redaktion: Frank Becker