Jahr100Wissen:

Michael Okroy über die Entstehung des Wuppertaler Stadttheaters

von Uwe Blass

Stadttheater am Brausenwerth - Ruth Ebendorff pinx
Quelle: Vom Theater in Wuppertal, ca. 1955
Jahr100Wissen:
 
Michael Okroy über die Entstehung des Wuppertaler Stadttheaters
„Zwischen den Schwesterstädten existierte eine zwar manchmal unsinnige,
aber oft durchaus fruchtbare Konkurrenz“
 
In der Reihe „Jahr100wissen“ beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Bergischen Universität mit 100 Jahre zurückliegenden Ereignissen, die die Gesellschaft verändert und geprägt haben. Am 1. Mai 1919 wurden das Theater am Brausenwerth in Elberfeld und das heutige Barmer Opernhaus unter der Bezeichnung „Wuppertaler Stadttheater“ zusammengelegt. Ein Jahr100Wissen-Interview von Uwe Blass mit dem Literatur- und Sozialwissenschaftler Michael Okroy.
 
Elberfeld hatte seit 1888 ein eigenes Theater: Das Theater am Brausenwerth. Die Baukosten beliefen sich damals schon auf 700.000 Reichsmark. Was war das Besondere an diesem Haus?
Okroy: Elberfeld, gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine prosperierende und wohlhabende Handelsstadt mit über 125.000 Einwohnern, besaß damit erstmals eine würdige Theaterstätte. Es gab zwar Vorgängerbauten, aber die waren in vielfacher Hinsicht nicht geeignet. Der Theaterbau an der Hofaue mußte etwa wegen andauernder Brandgefahr geschlossen werden. Barmen hatte schon seit 1874 ein eigenes, großes Theaterhaus mit 1200 Plätzen. Es brannte allerdings zweimal ab. 1905 entstand ein neues Theater, dort, wo heute das Opernhaus steht.
Elberfeld war mit seinem Bau von 1888 also Nachzüglerin. Das konnte man in der Stadt wohl kaum hinnehmen. Zwischen den Schwesterstädten existierte ohnehin auf vielen Gebieten eine zwar manchmal unsinnige, aber auf kulturellem Gebiet oft durchaus fruchtbare Konkurrenz.
Mit der Einweihung des Elberfelder Hauses 1888 unternahmen die beiden Städte übrigens einen erneuten Anlauf zu einer Theatervereinigung. Einen ersten hatte es schon im Jahr 1874 gegeben. Mit dieser Theaterehe versuchten die Verantwortlichen, ihre Kräfte zu bündeln, ökonomisch und künstlerisch. Aber das war stets schwierig und hat beim zweiten Versuch nur ein paar Jahre funktioniert. Dann sind beide Theater wieder getrennte Wege gegangen.
Man muß sich diesen enormen und ökonomisch irrsinnigen Kraftakt vorstellen, zwei große Theaterhäuser in so enger Nachbarschaft zu bespielen: jeweils immer mit einem vollen Programm mit Nachmittags- und Abendvorstellungen an fast allen Tagen, einer doppelten Verwaltung, mit zwei Orchestern, doppelten Spielplänen und einem scharfen Wettstreit bei der Anschaffung von Bühnenneuheiten. Das war vielleicht interessant für die Zuschauer, wirkte sich aber negativ auf die künstlerische Qualität aus und war unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten natürlich ein absolutes Desaster.
 
Franz Lehár, dessen Operette „Die lustige Witwe“ vielen Musikliebhabern noch ein Begriff ist, hatte hier sein erstes Engagement. War Elberfeld damals schon ein kleines Sprungbrett für Talente?
Okroy: Es war sogar ein großes Sprungbrett, das es aber damals natürlich auch an vielen Theatern gab. Junge Künstlerinnen und Künstler, Sänger, Schauspieler, Dirigenten und Kapellmeister haben überall an den zahlreich in Deutschland existierenden Stadttheatern ihre Karrieren starten können, so auch in Elberfeld.
Franz Lehár hat tatsächlich in „Elberfeld-Barmen“ sein erstes Bühnenengagement angetreten, er war Primgeiger und zeitweilig wohl sogar Konzertmeister. In seinen 1937 veröffentlichten Erinnerungen bezeichnet er seine Zeit im Wuppertal als „einen Segen“. Dort sei er zum ersten Mal mit dem „wirklichen Theater in Berührung“ gekommen. Er hat das Theater dann allerdings schon nach einem Jahr vertragswidrig verlassen und bald danach seinen Siegeszug als Operettenkönig angetreten.
 
Warum fand die Zusammenlegung der Theater in Elberfeld und Barmen bereits 1919 statt und nicht erst bei der Vereinigung der Städte 1927?
Okroy: Das hatte ganz klar mit dem Ersten Weltkrieg zu tun. Es gab schon vorher drei Anläufe zu einer Theatervereinigung. Mal hieß es „Vereinigte Stadttheater Barmen-Elberfeld“, dann wieder „Elberfeld-Barmen“. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs war ein Schlüsselereignis und eine Zäsur in vielerlei Hinsicht: politisch, gesellschaftlich und auch ökonomisch. Die Theaterleitungen boten nur noch einen stark reduzierten Spielplan im Schauspiel und in der Oper an. Die Gagen wurden gekürzt, die Zuschauerzahlen gingen dramatisch zurück. Außerdem gab es Schwierigkeiten bei der Beschaffung neuer Werke und von Werken aus dem (feindlichen) Ausland. Die Folgen: Beide Häuser gerieten abermals in eine akute Krisenlage. Es beruhigte sich ab 1916 zwar wieder, aber die kriegsbedingten Probleme waren unmittelbarer Anlaß, die Zusammenführung der beiden Theater noch einmal auf die Agenda zu setzen.
Man hat dann Ende 1917 in getrennten Sitzungen beider Stadtverordnetenversammlungen darüber entschieden. Die Elberfelder stimmten einhellig für die Theatervereinigung, die Barmer nicht. Erst nach einer Pattsituation von 14 zu 14 hat dann die Stimme des Oberbürgermeisters, Dr. Paul Hartmann, den Ausschlag zugunsten einer Vereinigung gegeben. Barmen fürchtete um seine künstlerische Eigenständigkeit, man wollte kein Anhängsel von Elberfeld sein und sich nicht wirtschaftlich über den Tisch ziehen lassen. Man gab sich in Theaterkreisen sogar ein bißchen rebellisch, druckte Plakate und machte richtig Stimmung gegen eine erneute Theaterehe.
Die Theatervereinigung erfolgte zunächst für drei Jahre auf Probe. Sie wurde zum 1. Mai 1919 wirksam und firmierte unter den Namen „Wuppertaler Stadttheater“ und „Wuppertaler Städtisches Orchester“. Das ist dann jedoch später wieder umbenannt worden in „Vereinigtes Stadttheater Barmen-Elberfeld“. Vielleicht war das ein Zugeständnis an die Barmer Separatisten.


Stadttheater am Brausenwerth, ca. 1930er Jahre - Quelle: Stadtarchiv Wuppertal

Dem Theater am Brausenwerth wurde keine große Zukunft beschert. Was passierte in den Folgejahren?
Okroy: Es ist viel geschehen. Zwar ist das Theater 1939 wieder geschlossen worden, es existierte also nicht allzu lange. Aber es hat nach seiner Einweihung 1888 bis in die 1930er Jahre künstlerische Blütezeiten und turbulente Jahre erlebt. Schon in den ersten Jahren wartete das Haus mit einigen national und international beachteten Ur- und Erstaufführungen, mit einigen „Stars“ und einem abwechslungsreichen Spielplan auf. Dazu engagierte man bemerkenswerte Künstler wie etwa Alfred Hertz. Er begann 1898 als Erster Kapellmeister und startete von „Elberfeld-Barmen“ aus eine große Karriere. Schon wenige Jahre später leitete er an der Met in New York die US-Erstaufführungen des „Rosenkavalier“ und der „Salome“ von Richard Strauss.1913 nahm Alfred Hertz mit den Berliner Philharmonikern die ersten Schallplattenaufnahmen des weltberühmten Orchesters auf.
Intendant in „Barmen-Elberfeld“ war zur Jahrhundertwende übrigens Hans Gregor, der mit Gustav Mahler um 1900 zu den großen Reformern der Opernregie zählte, später die erste Komische Oper in Berlin gründete und dann lange die Wiener Hofoper leitete. Es folgten die Vorkriegsjahre, in denen zwei der größten und eigenwilligsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts an Wuppertals Theaterhäusern wirkten: Otto Klemperer und aus Elberfeld stammende Hans Knappertsbusch. Nicht nur künstlerisch, sondern auch politisch standen beide Orchesterchefs für extrem gegensätzliche Positionen.
In der demokratischen Weimarer Republik arbeitete das nunmehr endgültig vereinigte Stadttheater unter völlig veränderten Verhältnissen. Es waren in jeder Hinsicht aufregende Zeiten, kulturell und politisch. Die Kultur wurde demokratischer und wuchs aus dem nur elitären Bereich heraus. Es gründete sich z. B. die Volksbühne als Besucherorganisation. So kamen zum ersten Mal auch breitere Bevölkerungskreise mit dem Theater in Berührung.
Wuppertal nahm, vor allem im Bereich der Oper, Anteil an den Errungenschaften der Moderne, etwa beim Inszenierungsstil, dem Bühnenbild und der Aufführung von zeitgenössischen Stücken, u.a. von Paul Hindemith, Ernst Krenek oder Alban Berg. Es zeigten sich auch schon die ersten politischen Auseinandersetzungen, die einen Vorschein auf die kommende Nazizeit boten. 1932 stand eine „Salome“-Aufführung am Elberfelder Theater auf dem Programm. Als Titelheldin hatte man eine javanische Sängerin engagiert. Die Einstudierung übernahm der Komponist Richard Strauss selbst. Gegen die Besetzung der Rolle mit einer „nichtdeutschen“ Künstlerin protestierten völkisch-nationale und rechtsradikale Kreise mit einer Tränengasattacke im Theaterraum. Das geschah ein Jahr bevor an den beiden Theatern in Wuppertal politisch mißliebige und jüdische Künstler und Bühnenmitarbeiter entlassen wurden.
1939 ist das Theater am Brausenwerth geschlossen worden – vor allem wohl aus finanziellen Gründen. Wuppertal gehörte Ende der 1930er Jahre zu den am höchsten verschuldeten Städten in Deutschland. Das Barmer Haus wurde im Gegenzug umfangreich modernisiert und umgestaltet. Es firmierte dann unter dem Namen „Wuppertaler Stadttheater“. Das Haus am Brausenwerth ist dann 1943 durch Bombenangriffe vollständig zerstört worden.
 

Michael Okroy - Foto © UniService Transfer
Heute durchquert die Bundesstraße 7 die Stelle, wo das Theater stand. Kann man die Position noch ausmachen?
Okroy: Ja, das läßt sich anhand historischer Fotografien gut bestimmen. Das Theatergebäude befand sich fast genau auf der Mitte der heutigen Bundesallee, der B 7, und zwar auf der Höhe der Ampelanlage zwischen der Brausenwerther Brücke und dem InterCity Hotel. Man geht oder genauer, man fährt dort täglich drüber.
 
Michael Okroy studierte Literatur- und Sozialwissenschaften an der Bergischen Universität Wuppertal. 1992 war er Mitarbeiter an der Historisch-Kritischen Edition der Werke Franz Kafkas und in der Heinrich-Böll-Forschungsstelle. Von 1994 bis 2000 arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Seit 2000 ist er freiberuflich im Bereich Dokumentation und Recherche zur Zeitgeschichte tätig. Von 2010 bis 2013 war Michael Okroy Lehrbeauftragter für Geschichte und ihre Didaktik sowie Neuere und Neueste Geschichte an der Bergischen Universität. Seit 2013 arbeitet er in der Verwaltung am Lehrstuhl für Allgemeine Literaturwissenschaft der Wuppertaler Uni. Okroy gehört dem Beirat der Abteilung Wuppertal des Bergischen Geschichtsvereins an.
 

Literaturhinweise:
- Kurt Hackenberg/Walter Schwaegermann - Vom Theater in Wuppertal, o.J. (ca. 1955) Verlag J.H. Born / Stadt Wuppertal
- Michael Okroy: „Damit die Träume atmen können". Vom Stadttheater Barmen zum Opernhaus Wuppertal. Hrsg. im Auftrag der Wuppertaler  
  Bühnen GmbH, Wuppertal 200, Besprechung → hier
- Thorsten Dette, „Wuppertal so wie es war“, 2017 Droste Verlag Düsseldorf, Besprechung  → hier

Redaktion: Frank Becker