Die Schattenseiten des Islam

„Nur eine Frau“ von Sherry Hormann

von Renate Wagner

Nur eine Frau
(Deutschland 2019)

Regie: Sherry Hormann
Mit: Almila Bagriacik, Aram Arami, Rauand Taleb u.a.
 
Wer es damals bewußt wahrgenommen hat, kann es nicht vergessen haben: Daß – es war am 7. Februar 2005 – eine junge Türkin von ihrem Bruder mitten in Berlin auf offener Straße erschossen wurde. „Hingerichtet“. Ein „Ehrenmord“, um die Familie von einer Tochter zu befreien, die es gewagt hatte, ihr eigenes Leben zu führen. Regisseurin Sherry Hormann hat dieser 23jährigen (so alt war die Mutter eines fünfjährigen Sohnes, als sie starb) nun eine Stimme gegeben. Läßt sie ihre Geschichte erzählen.
Man wird diesen Film möglicherweise auf kleiner Flamme kochen, denn die Tendenz geht dahin, die Schattenseiten des Islam eher unter den Teppich zu kehren. Und die Einwanderer als friedliche, freundliche Menschen darzustellen, die von Böswilligen verleumdet werden. Die Geschichte von Hatun Aynur Sürücü erzählt etwas anderes. Von Menschen, die ihre durchaus gewalttätig ausgeübte Religion in ihre neuen Heimatländer mitgenommen haben und nicht bereit sind, Familienmitgliedern, die ihre Freiheit begehren, diese zu gewähren. Wenn sie Frauen sind. Nur eine Frau.
 
„Das bin ich, die Leiche“, sagt die Stimme aus dem Off, und dann sieht man sie, noch lebendig. Hauptdarstellerin Almila Bagriacik ist so selbstverständlich-deutsch-flapsig, wie es eine junge Frau, die in Berlin aufgewachsen ist, nur sein kann. Aber es war ein langer Weg aus einer streng sunnitischen Familie, die nach kurdischer Tradition lebte. Und die Tochter aus der Schule nahm, nach Istanbul verfrachtete und ungefragt an einen Cousin verheiratete.
Als ihr die körperlichen Brutalitäten des Gatten zu viel werden, kehrt die schwangere Aynur nach Berlin zu ihrer Familie zurück, wird aber keinesfalls freundlich empfangen. Nicht nur der Zorn des Vaters und der Brüder trifft sie (die ungeschaut auf der Seite des Ehemanns sind, der schließlich ein Recht hat, seine Frau zu schlagen). Erschütternd ist der Mangel an Solidarität unter den Frauen. Eine Mutter, die nur Unterwürfigkeit predigt und lehrt und lebt, Schwestern, die dann unwirsch sind, wenn Aynurs Baby schreit (schließlich leben alle Töchter in einem Zimmer und alle Söhne auch).
 
Der Weg der Frau, die in den Augen ihrer Familie die Ehre verletzt und ihnen Schande gemacht hat, ist beklemmend. Die deutschen Behörden sind zurückhaltend, aber letztlich hilfreich. Aynur darf in ein Haus für junge Mütter ziehen, wo sie allerdings auch keinerlei Solidarität unter Frauen findet. Sie jobt im Supermarkt, macht eine Ausbildung als Elektromechanikerin, legt das Kopftuch ab und will als moderne junge alleinerziehende Mutter in Deutschland leben.
Der Terror ihrer Familie (vor allem die Brüder beschimpfen sie unaufhörlich am Telefon, ohrfeigen sie im Bus) vertreibt den deutschen Freund, der nett ist und gern mit ihr und ihrem Jungen leben würde: Aber er ahnt, was sie in ihrer unerschütterlichen Liebe zu ihrer Familie nicht wahrhaben will. Daß ihr Leben für ihre Familie, für die Gesellschaft, aus der sie kommt, für den predigenden Iman, bei dem sich die Brüder Rat holen, eine solche Provokation darstellt, daß es eines Tages zum Gewaltausbruch kommt.
Und so geschah es auch: Man schickte den jüngsten Bruder, der sie auf offener Straße erschoß. Die Gefängnisstrafe für ihn war nicht bedeutend, der Rest der Familie wurde freigesprochen. Die deutschen Behörden wollen es sich schließlich mit ihren türkischen Mitbrüdern nicht verscherzen…
 
Die Geschichte wird ganz ohne Sentimentalität geradezu nüchtern erzählt. Immerhin – für Verständnis der Familie gegenüber wird nicht plädiert. Vielleicht können sie nicht anders denken und leben. Aber kann das Land, in dem sie immerhin als Bürger aufgenommen wurden, nicht verlangen, daß man seine Gesetze respektiert? Die Unvereinbarkeit einer Religion, die im radikalsten Fall (wie hier) Frauen rechtlos unterdrückt, mit einer Gesellschaft, die Gleichberechtigung postuliert und wohl auch lebt, wird bitter klar.
Es ist ein „Lehrfilm“, wie es Lehrstücke auf dem Theater gibt. Am Ende versteht man einiges mehr. Ob sich die Probleme im Laufe der kommenden Generationen abschleifen werden – wer weiß? Die Familie hat nicht um Aynur getrauert. Sie hat „nur“ ihre „Ehre“ wieder hergestellt.
 
 
 
Renate Wagner