Beckfelds Briefe

An Inge Meyer-Dietrich

von Hermann Beckfeld

© Verlag Henselowsky Boschmann
Inge Meyer-Dietrich hat eine Liebeserklärung geschrieben: an ihr Revier, an die Menschen in ihrer Heimat, ganz besonders an Mimi, eine starke Frau, die viel Kraft braucht, um sich nicht unterkriegen zu lassen. Ihre Romane bestärken uns, Träume zu leben.
 
Liebe Inge Meyer-Dietrich,
Mimi lebt und träumt. Und wir leben und träumen mit der Hauptperson in Ihrem neuen Roman, mit der hübschen, fleißigen Bergmannstochter, die ihren Vater nie kennenlernen durfte und den neuen Mann ihrer Mutter, der sie aus dem Haus treibt, nicht leiden kann; die Näherin, die sogar zum katholischen Glauben konvertiert, um ihren geliebten Heinrich heiraten zu können. „Groß ist er, hat kräftige Hände, die ordentlich zupacken. Und sanfte blaue Augen.“
Sie, liebe Inge Meyer-Dietrich, nehmen uns mit in ein Ruhrgebiet, das die meisten von uns nicht mehr kennen; in eine Zeit, die so anders war, die unsere Großeltern, Eltern geformt hat; vielleicht ein bißchen auch uns, weil Väter und Mütter nun mal die Kinder prägen. Wir lesen, wir fühlen uns ein in das ganz normale Leben in der Bergmannssiedlung irgendwo zwischen Lütgendortmund und Bochum-Werne, in ein Leben voller Entbehrungen, Hunger und Hoffnungen, voller Ängste, Zweifel und Geheimnisse. Heinrich zieht in den Ersten Weltkrieg, die Nazis übernehmen die Macht, und Mimi erfährt, was ihr Mann verschweigen wollte.
Mein Kompliment: Wer so einfühlsam, so aufrichtig erzählen kann, muß zugehört haben, muß Vertrauen haben zu denen, die diese Geschichte erlebt, weitergegeben haben; wir, die Leser, ahnen die Nähe zu den von Ihnen geliebten Menschen. Nennen wir sie weiterhin Mimi und Heinrich. Es ist Ihre Schreibe, so sensibel, so geradeaus, so verständlich einfach wie einmalig, die uns selbst näher heranrückt; die uns traurig, manchmal glücklich macht und nachdenklich sowieso.
Nun gut, der Ruß auf den Fensterbrettern ist weg, aber die letzte Zeche 2018 auch. Und dann? Wer erinnert uns dann an so starke Frauen wie Mimi, an gebrochene Männer wie Kriegsheimkehrer Heinrich, an Nella, die eingewanderte Polin, und Kostgänger Konrad. Wer weiß, vielleicht folgen Anja und Sarah den Spuren ihrer Mutter. Beide haben ihre ersten Geschichten schon veröffentlicht. Sie selbst wurden vielfach ausgezeichnet, schreiben nicht nur für Erwachsene; Sie sind die Märchen- und Abenteuererzählerin für Kinder und Jugendliche, die lachen und weinen, die Fragen stellen dürfen; denen Sie keine heile Welt vorgaukeln. Immer geht es um Gefühle, um Liebe, Freundschaft, Nähe, Wärme; um Einsamkeit, verletzt sein, Trauer, Wut.
Für „Wie is? – Muß“, ein neues Buch, durften nur Autorinnen und Autoren aus dem Ruhrgebiet eine Geschichte beisteuern; ich könnte es konkretisieren: nur Menschen, die das Revier lieben. So wie Sie und Ihre Töchter, die Heimat aber erst lernen, erfahren mußten. Ein Zitat aus Sarahs Text: „Im Ruhrpott aufgewachsen. Im Ruhrpott hängengeblieben. Dumm gelaufen. Nein, sage ich. Verdammtes Glück gehabt!“
 
Liebe Revier-Chronistin,
Mimi, Inge, warum nicht auch Anja und Sarah machen mir Mut. Sie stärken mich in meiner Zuversicht, daß es immer schon starke Frauen gegeben hat, geben wird, die sich nichts vormachen lassen; die anpacken können, die für ihre Ziele kämpfen, die aussprechen, was sie wollen. „Ich weiß, daß man sich Glück nicht verdienen und es erst recht nicht festhalten kann. Aber meine Träume machst Du mir nicht kaputt“, sagt Mimi. „Wie soll man denn überleben, wenn man sich nicht manchmal in Träume flüchten kann?“ (04.02.2017)
 
 
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags Henselowsky Boschmann.
„Beckfelds Briefe“ erscheinen jeden Samstag im Wochenendmagazin der Ruhr Nachrichten.
„Beckfelds Briefe“ gibt es auch in Buchform 

Redaktion: Frank Becker