Eine Tragödie, die den Zuschauer beutelt

„Der Boden unter den Füßen“ von Marie Kreutzer

von Renate Wagner

Der Boden unter den Füßen
(Österreich 2018)

Drehbuch und Regie: Marie Kreutzer
Mit: Valerie Pachner, Mavie Hörbiger, Pia Hierzegger u.a.
 
Regisseurin Marie Kreutzer (42) hat es weder ihren Figuren noch ihrem Publikum je leicht gemacht. Von ihrem Debütfilm an wälzte sie harte Probleme – „Die Vaterlosen“ (2011) war eine schaurige Familiengeschichte. In „Gruber geht“ (2015) ging es, nicht ganz ausgeglichen, ums Sterben, „Was hat uns bloß so ruiniert“ (2016) war nur oberflächlich lustiger. Aber nun stürzt sie in „Der Boden unter den Füßen“ ihre Heldin in einen Abgrund, den mitzuerleben auch den Zuschauer beutelt.
 
     Dabei scheint es rein äußerlich die – fast übliche – dunkle Geschichte einer Karrierefrau zu sein, die blond und bestens angezogen im Büro einen harten Positionskampf auszufechten hat. Ungeachtet dessen, daß sie mit ihrer Chefin schläft (die letzte „Liebesszene“ der beiden ist so gnadenlos, daß man sich windet), hat sie in der Unternehmensberatung, in der sie arbeitet, einen schweren Stand. Die Männer sind immer noch cooler und rücksichtsloser – und, zugeben, es ist ja auch keine schöne Arbeit, den Reichen beim Sparen zu helfen, indem man möglichst viele von ihrer Belegschaft entläßt.
     Im Grunde würde das – samt vielfachem Herumreisen, in diesem Fall zwischen Wien und einem Job in Rostock – schon ausreichen, um Lola ins Burnout zu treiben. Aber Marie Kreutzer (Drehbuchautorin und intensive Regisseurin zugleich) bürdet ihr von Anfang an schier Unerträgliches auf. Lola ist am Flughafen, als ein Anruf aus der Toxikologie sie erreicht: Ihre Schwester Conny hat versucht, sich umzubringen, diesmal mit Gift, nicht zum ersten Mal. Wieder landet sie in der Psychiatrie, in die sie schubweise (mit ihrer Schizophrenie) ohnedies gehört. Wieder quält sie ihre Schwester mit Anrufen, Bitten, sie rauszuholen, Beschuldigungen gegen die gesamte Umwelt. So intensiv, daß die beruflich ohnedies hoffnungslos gestresste Lola den Boden unter den Füßen verliert… wie es der Titel sagt.
     Nun klappt gar nichts mehr. Wir können ihr beim „Zerbröckeln“ zusehen. Die Beziehung zur lesbischen Geliebten, in der keine Liebe herrscht. Die Situation im Büro, die (#metoo? Schnecken!) sexuellen Zumutungen der mächtigen Männer, die einen Auftrag von einer gewissen Bereitwilligkeit abhängig machen. Und der Druck durch die Schwester, die sie nicht liebt, für sie sie sich aber verantwortlich fühlt.
 
     Man fühlt sich mit Lola, die von Valerie Pachner nie emotional überbordend, aber nervlich überlastet glaubhaft gemacht hat, wie im spanischen Würgegalgen. Man fragt sich, was eine Frau, wie ihre Geliebte Elsie (Mavie Hörbiger kann wunderbar „böse“, rücksichtslos, unmenschlich sein) antreibt, die sich von Privatem nie in ihrem eisernen Karriereweg stören läßt. Und man leidet unter Conny (Pia Hierzegger mit gnadenloser Intensität), von der man weiß, daß sie nichts für ihr Verhalten kann, die aber imstande ist, mit ihren Forderungen und Wahnvorstellungen einen Mitmenschen – in diesem Fall die Schwester – zu zerstören.
     Ohne Handlungsdetails preisgeben zu wollen (es ist kein Krimi, aber doch spannend durch die Aussichtslosigkeit der Situation), hinterläßt die Regisseurin ihre Heldin in einem Zustand totaler Ungewißheit – und man ist als Zuschauer betroffen, weil einem selbst auch nichts für Lola einfällt. Ob sie je wieder festen Boden unter den Füßen gewinnt? Man soll es nicht wissen. Marie Kreutzer hätte die Tragödie der alleinstehenden Frau in dieser Welt nicht dichter und schlimmer erdenken können.
 
Trailer    
 
Renate Wagner