„Deppen“ schauen - wie peinlich...

„Die Goldfische“ von Alireza Golafshan

von Renate Wagner

Die Goldfische
(Deutschland  2018)

Drehbuch und Regie: Alireza Golafshan
Mit: Tom Schilling, Birgit Minichmayr, Jella Haase, Maria Happel, Sybille Canonica, Luisa Wöllisch, Axel Stein, Jan Henrik Stahlberg u.a.
 
Früher gingen die Leute in den Narrenturm, um „Teppen“ zu schauen, und machten sich ein Freizeitvergnügen daraus. Wir können uns zu Recht nicht genug über so viel Seelenrohheit entrüsten. Und was tun wir? Wir stellen die „Teppen“ in einem Film aus, nennen es Lustspiel, geben vor, hier mit Herz und Schmerz zu arbeiten – und begehen doch nur die ultimative Geschmacklosigkeit…
 
Der Debütfilm von Alireza Golafshan, der aus der Münchner Filmschule kommt, hat einen griffigen Ausgangspunkt: Oliver Overrath sitzt (in Gestalt von Tom Schilling, der wirklich von Anfang bis zum Ende brillant ist – über alle Drehbucheskapaden hinweg) am Steuer seines Luxusautos, soll, Finanzberater, der er ist, bei einer wichtigen Sitzung sein. Steckt im Stau. Prescht schließlich auf die andere Spur – und bumms. Auto überschlägt sich, ihn erleben wir im Krankenbett, wo seine Model-Freundin vorbei schaut, um Adieu zu sagen. Und dann sitzt er im Rollstuhl.
Unter den vielen Unglaubwürdigkeiten des Drehbuchs fragt man sich auch, ob in einer Reha wirklich geistig normale Gelähmte mit echten Behinderten (oder „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“, wie es heute korrekt heißt) zusammen leben? Immerhin wird es vorausgesetzt. Und Oliver, der sich um kein bißchen geändert hat, der im Rollstuhl auch nichts anderes will als von seinem Laptop aus Geschäfte zu machen, kommt in die Behinderten-WG ohnedies nur auf der Suche nach dem optimalen WLAN. Denn das hat das Heim, dem unsere Maria Happel als skurrile Direktorin vorsteht, offenbar nur partiell zu bieten.
Ja, und jetzt soll man über sie lachen dürfen und sie ins Herz schließen: Da ist Franzi mit dem Down-Syndrom (Luisa Wöllisch) und ihren dringenden Wünschen nach Designermode. Da konnte sich Birgit Minichmayr für die Rolle der blinden Alkoholikerin Magda mit ausgesprochen unsympathisch-ruppigen Manieren erwärmen (man muß es ja nicht verstehen). Da gibt es „Rainman“ (Axel Stein), was natürlich als Autismus zu verstehen ist, und einen gewissen vor sich hin grinsenden Michi (Jan Henrik Stahlberg), dessen Krankheit nicht definiert wird (und alle schreiben den Pressetext ab, daß er „in seiner eigenen Welt“ lebt). Wie lustig ist das, sie in ihren Absonderlichkeiten auszustellen und ihnen bei ihrem Verhalten zuzusehen? Wie „rührend“ ist das?
 
Natürlich entdeckt Oliver sein Herz für diese „Goldfische“-Clique, die in Jella Haase eine patente Gutmensch-Betreuerin namens Laura und in Kida Khodr Ramadan (obzwar kurdisch-libanesischer Herkunft) als Eddy Patzke den Inbegriff eines grob-urigen türkischen Pflegers haben.
Die Grundhandlung bleibt realistisch, wenn Oliver beobachtet, wie unbeschränkt Magda im Supermarkt stehlen kann, weil niemand es wagen würde, eine Behinderte aufzuhalten oder gar nach dem Inhalt ihrer Tasche zu befragen. Und weil das deutsche Finanzamt hinter seinen Schweizer Ersparnissen her ist, spielt er sich als Big Spender auf, der seinen Goldfische-Freunden einen psychologisch wertvollen „Kamel“-Aufenthalt in der Schweiz spendiert (das wird eine klassische Esoterik-Parodie, bei welcher Sybille Canonica herrlich mitmacht).
Natürlich geht es nur darum, das Geld mit Hilfe seiner behinderten Freunde nach Deutschland zu schaffen, vorbei an den Schweizer Zöllnern, bei denen man nichts zu lachen hat – und nun überstürzen sich nicht nur die Ereignisse zu exzessiver Albernheit, nun entdeckt auch der knallharte Oliver seine weiche Seite und nimmt sich der „Goldfische“ herzlich an… man glaubt es nicht. Viel logischer erscheint, daß Eddy, der ihm beim Bunkern des Geldes aus dem Schweizer Tresor heraus helfen soll, sich plötzlich als knallharter Erpresser entpuppt.
Wenn man sieht, wie fest das Geld dann dem Rainman auf den Leib geklebt wurde, ist es nur eine Unglaubwürdigkeit mehr des so unglaubwürdigen (und kitschigen) Ganzen, daß das Geld sich bei einer Hochschaubahn-Fahrt löst und über die Menge im Rummelplatz regnet… ein Bild, angesichts dessen man nicht erstmals merkt, wie aufdringlich der Regisseur die Symbolschiene bedient.
Am Ende hat Frau Direktor Maria Happel noch eine goldene Idee, und alles wird gut, und wenn Oliver seine empörte Laura direkt vom Burger-King zurück in seine Arme holen muß. All das wurde auch von Kritikern als herzerquickendes Lustspiel bewertet. Tatsächlich ist es billiges Lachen über „Teppen“, und in der Filmographie des immer so bemerkenswerten Tom Schilling sollte man diese Mitwirkung auf kleinster Flamme kochen.
 
 
Renate Wagner