„Eine Frau gehört nicht in die Metallwerkstatt...“

Hans Brockhage / Reinhold Lindner - „Marianne Brandt“

von Jürgen Koller

  Bauhaus-Logo, Oskar Schlemmer 1922
100 Jahre Bauhaus Weimar / Dessau
 
„Eine Frau gehört nicht in die Metallwerkstatt...“
 
Marianne Brandt - der mühsame Weg zur einzigen
Formmeisterin am Bauhaus
 
Mit dem Industriebau der Fagus-Werke und der Teilnahme an der Werkbundausstellung 1914 hatte sich Walter Gropius (1883 -1969) als Architekt der Avantgarde empfohlen. Sein Vorschlag, die Kunsthochschule Weimar und die seit 1915 geschlossene Kunstgewerbeschule zum Staatlichen Bauhaus Weimar zusammenzuführen, fand deshalb die Zustimmung des Großherzoglich-Sächsischen Staatsministeriums. Das Leitbild des Bauhauses war, die Architektur als „Gesamtkunstwerk“ mit den anderen künstlerischen Disziplinen – Malerei, Bildhauerei, Grafik und Kunsthandwerk – zu verbinden. Gropius: „Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau“. Der Unterschied zwischen Künstler und Handwerk sollte aufgehoben werden. Der Lehrbetrieb orientierte sich stark am Handwerk – den Zünften ähnlich gab es Lehrlinge, Gesellen und Meister. Die Namensfindung 'Bauhaus' resultierte aus dem Bezug zu den mittelalterlichen Bauhütten. Die Ausbildung zum Künstler sollte nicht mehr in Klassen unter Leitung von Professoren, wie an den Akademien üblich, sondern im handwerklichen Umgang mit den Objekten erfolgen. Die künstlerischen Leiter der Werkstätten nannten sich „Formmeister“, denen „Werkmeister“ zur Seite standen. Die Formmeister waren durchweg ausgewiesene Künstlerpersönlichkeiten, so Lyonel Feininger (Druckerei), Johannes Itten und Lászlo Moholy-Nagy (Metallwerkstatt), Oskar Schlemmer, Wassily Kandinsky (Wandmalerei), Paul Klee (Buchbinderei), Joost Schmidt (Ausstellungsgestaltung), Georg Muche (Weberei), Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe, Hannes Meyer, Adolf Meyer (Architektur) und noch etliche andere bedeutende Künstler wirkten am Bauhaus. Gropius ging davon aus, daß der Lehrer Abstand nehmen muß, eigenes Formvokabular an die Studenten weiterzugeben. Er unternahm den Versuch, im Bauhaus einen objektiven 'Generalnenner', sozusagen eine Design-Wissenschaft zu entwickeln. Gleichzeitig sollte das Einmalige in jeder schöpferischen Persönlichkeit und der gemeinsame geistige Zusammenhang in der Zeit gewahrt bleiben. Johannes Itten entwickelte und leitete den „Vorkurs“, der die allgemeine Gestaltungslehre beinhaltete und der für alle Bauhäusler-Studenten obligatorisch war. Ittens persönliche Lehrmethode – von vielen kritisch gesehen - basierte auf der „Mazdaznan-Lehre“, einer Lebensreform-Bewegung mit Körperkultur, Atem- und Ernährungslehre.
 
Marianne Brandt (1893 in Chemnitz geboren und 1983 in Kirchberg bei Zwickau gestorben), Tochter eines musisch interessierten Rechtsanwalts, studierte vor 1914 an der Weimarer Kunsthochschule, u.a. bei Fritz Mackensen Landschafts-, Porträt- und Aktmalerei. 1918 verließ sie die Hochschule und heiratete den norwegischen Maler und Studienkollegen Erik Brandt. Angeregt von der Bauhaus-Ausstellung von 1923 begann sie noch im Wintersemester des gleichen Jahres ihre Ausbildung am Staatlichen Bauhaus, nicht ohne vorher den gesamten Bestand ihrer gemalten Bilder zu verbrennen. Sie besuchte zunächst die Vorklasse von Maholy-Nagy und Josef Albers und hatte bei Kandinsky und Klee Form- und Farbgestaltung. Itten hatte schon vorher das Bauhaus im Streit mit Gropius verlassen, weil er dessen Auffassung, daß Kunst und Technik auf ein gemeinsames Ziel hingehen könnten, nicht mittragen wollte – für Itten stand „individuelle künstlerische Arbeit im völligen Gegensatz zu den Forderungen der 'wirtschaftlichen Außenwelt'.“ Der Kunsthistoriker Bruno Adler (1888 -1968), der 1919 in Weimar den Utopia-Verlag gegründet hatte und über Jahre enge Verbindung zum Bauhaus hielt, konstatierte - und kritisierte damit zugleich die Position von Gropius - , daß die „Rückorientierung (auf das Zunft-Handwerk) ebenso unzeitgemäß (ist) wie der Fluchtversuch in eine irreale Vorstellung von der Zukunft !“
Maholy-Nagy empfahl Marianne Brandt, in die Metallwerkstatt zu wechseln, weil er das große gestalterische Potential seiner Studentin erkannt hatte. In einem „Brief an die junge Generation“ beschreibt Marianne Brandt, mit welchen Vorbehalten sie anfangs kämpfen mußte und daß man ihr besonders langweilig-mühselige Arbeiten auftrug, beispielsweise das Schlagen vieler kleiner Halbkugeln aus sprödem Neusilber in der Anke. Später habe man sich dann prächtig arrangiert. In dieser Zeit entstand das Tee-Extraktkännchen MT49.

Als im Jahre 1924 die Thüringer Regierung auf Druck von rechts die Mittel für das Staatliche Bauhaus zusammenstrich, beschloss der Meisterrat dem Angebot der Stadt Dessau und der Flugzeugwerke Junkers zu folgen und das Bauhaus nach Dessau zu verlegen. Für den neuen Standort projektierte Gropius das inzwischen berühmte Werkstattgebäude mit der vorgehangenen Fassade sowie die Meisterhäuser. Die Lampenentwürfe für das neue Bauhausgebäude stammten fast vollzählig von Marianne Brandt. Nach ihrer Gesellenprüfung wurde sie 1926 zur stellvertretenden Leiterin der Metallwerkstatt ernannt und nach dem Weggang Maholy-Nagys war sie vom 1. April 1928 bis zur Berufung von Alfred Arndt 1929 kommissarische Leiterin der Metallwerkstatt. So war Marianne Brandt die einzige Frau als Formmeisterin am Bauhaus , nur Gunta Stölzl hatte noch eine Leiterfunktion, allerdings als Werkmeisterin für Weberei. Auch das sich so avantgardistisch gebende Dessauer Bauhaus war also ganz traditionell eine reine Männerdomäne. Maholy-Nagy hatte die Fotografie in das Lehrprogramm des Bauhauses eingeführt. Und so konnte Brandt auch eine Fotokünstlerin mit außerordentlichem Niveau werden. Ihre Fotos und Foto-Collagen aus dem Umfeld des Bauhauses fanden große Resonanz wurden mit genutzt, das Dessauer Bauhaus in den Printmedien überregional noch bekannter zu machen.
Nach dem Weggang von Gropius 1928 wurde der Schweizer Architekt Hannes Meyer neuer Direktor. Seine Devise lautete „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ - in der Folge wurden verschiedene Werkstätten , so auch die Metallwerkstatt dem Architekturprogramm zu- und untergeordnet. Bereits seit 1926 hatte Brandt mit der Berliner Beleuchtungsfirma Schwintzer & Gräff sowie mit der Leipziger Firma Körting & Mathiesen (Kandem-Leuchten) zusammen gearbeitet. Produkte nach Brandts Entwürfen waren ab 1927 auf dem Markt. In ihrer Bauhauszeit entwickelte Brandt 28 Lampenmodelle – das Grundschema ihrer Entwürfe waren geometrische Formen wie Kreis, Kugel, Quadrat und Dreieck. Sie folgte der Produktdesigner-Devise des Bauhauses „form follows function“ und setzte ab 1928/29 neuartige Materialien ein, wie Opalglas, geschliffenes Aluminium und vernickeltes Messing.
 
Nach ihrem Studien-Abschluß am Bauhaus wechselte Marianne Brandt als Entwicklungsleiterin der Metallwarenfabrik Ruppelwerk GmbH nach Gotha. Auf Grund der Wirtschaftskrise wurde sie 1932 entlassen. In der Nazi-Zeit gelang es ihr nicht, eine Anstellung als Produktdesignerin zu finden. Ohne größere Einkünfte lebte sie in ihrem Elternhaus in Chemnitz, inzwischen von ihrem norwegischen Ehemann geschieden. Sie begann wieder zu malen. Die materielle Not zwang sie dazu, in die NS-Reichskulturkammer einzutreten, um Bilder ausstellen und verkaufen zu können. Erst 1949 fand Brandt eine Anstellung unter Mart Stam als Dozentin für Holz, Metall und Keramik an der Dresdner Hochschule für Werkkunst. Aber bereits 1951 endete diese Lehrtätigkeit, da das SED-Regime modernes internationales Design, so eben auch gestalterische Positionen des
ehemaligen Dessauer Bauhauses, als „formalistisch“ und „kosmopolitisch“ strikt ablehnte. Trotzdem konnte Brandt von 1951 bis 1954 als Mitarbeiterin am Institut für industrielle Gestaltung der Kunsthochschule Berlin-Weißensee arbeiten. Nach dieser Berliner Zeit lebte sie als freie Malerin und Kunsthandwerkerin wieder in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz). Obwohl Produktgestalterin von Format, geriet Brandt in Vergessenheit. Auch ihre Heimatstadt bemühte sich nicht um sie. Den Professoren Clauss Dietel, Industriedesigner, und Hans Brockhage, Holzgestalter, letzterer
studierte bei Brandt an der Dresdner Werkkunst-Hochschule, ist es zu danken, daß Marianne Brandt ab der frühen 70er Jahre wieder in das kulturelle Leben eingebunden wurde. Beide hielten Kontakt mit Marianne Brandt bis zu deren letzten Tagen. Es ist beschämend für die damaligen SED-Kulturoberen, daß nur durch die engagierte, uneigennützige Hilfe der Kirchberger Kunsthandwerkerin Liselotte Lange die frühere Formmeisterin des Bauhauses Dessau im hohen Alter überhaupt einen Platz im Pflegeheim der kleinen Gemeinde Kirchberg erhalten konnte. Dort ist Marianne Brandt in einem ärmlichen Vierbett-Zimmer 1983 verstorben.
 
Der Bild- und Textband Marianne Brandt von Hans Brockhage / Reinhold Lindner, Chemnitzer Verlag, 2001, ISBN 3-928678–63-9, ist nur noch antiquarisch erhältlich.

Redaktion: Frank Becker