Ein Käfig voller Narren

Frank-Patrick Steckel inszeníert Molíères Komödie „Der Menschenfeind”

von Frank Becker

Tina Berheardt, Martin Briungmann - Foto © Klaus Lefebvre

Ein Käfig voller Narren
 
Frank-Patrick Steckel inszeníert am Schillertheater NRW Wuppertal
seine eigene Textfassung von Molíères Komödie
„Der Menschenfeind” aus dem Jahr 1666
 
Regie: Frank-Patrick Steckel – Ausstattung: Sabine Böing – Bewegungsarbeit: Nadja Kevan – Foto: Klaus Lefebvre
Besetzung: Martin Bringmann (Alceste) – Tim Grobe (Philinte) – Thomas Schrimm (Oronte) – Tina Eberhardt (Célimène) – Cornelia Schindler (Èliante) – Franziska Becker (Arsinoé) – Dirk Müller (Acaste) – Eric van der Zwaag (Clitandre) – Gerd Mayen (Basque) – Herbert Ecker (Ein Gardist) – Gerhard Palder (Du Bois) – Ingo Toben (Ein Hausdiener)
 
Man vergißt augenblicklich, daß seit der Uraufführung in Paris 333 Jahre vergangen sind. Man vermißt keine Bühnenausstattung. Man genießt: den geschliffenen Text, die Kostüme von Sabine Böing, die hohe Kunst der Schauspieler. Vorweg: Steckels Inszenierung wurde zum perfekten Theatervergnügen.
Von Molière für die Ewigkeit geschaffen, ist „Der Menschenfeind“ unabhängig von Zeitläufen und Systemen, von Nationen und Kulturen ein Spiegel, ein gültiger Charakter-Focus wie „Der eingebildete Kranke“, sein „Tartuffe“ oder „Der Geizige“. Das klassische Versmaß hat nichts antiquiertes, im Gegenteil, es fesselt und amüsiert. Steckels Verzicht auf eine Prosa-Übertragung ist weise.
 
Die Bühne: ein lindgrüner Blümchenteppich, Salon und Natur in einem, rechts die Figur eines kauernden Primaten, eine Reihe Stühle, schwarze Samtportieren, fünf Deckenlüster, an der Rampe Kerzen zur Beleuchtung, Bühne auf der Bühne. Kostüme und Maske in barocker Üppigkeit. Sabine Böing hat Großes geleistet. Urwaldgeräusche deuten an, was geschehen wird. Der Mensch macht sich zum Affen.
Über große Wege von und nach rechts und links hinten treten die Protagonisten auf und gehen ab, werden vorgeführt, dem Publikum präsentiert, Muster für Eitelkeiten, Dummheiten, Überheblichkeiten und mit Wiedererkennungswert. Da sind: Alceste (Martin Bringmann) in pietistischem Schwarz, der tragikomisch Verliebte, der Unbestechliche, Feind jeder Unaufrichtigkeit und Feind seiner selbst - eben: der Menschenfeind. Bringmann verkörpert ihn bis zur ausweglosen Lächerlichkeit bemitleidenswert gut. Philinte (Tim Grobe), sein Freund und Ratgeber, erfolglos mäßigend auf Alceste einwirkend. Grobes sprachliche wie körperliche Eleganz und die perfekte Beherrschung des Enjambements machten seine Auftritte zu Höhepunkten und akustischem Genuß des im Grunde handlungsarmen Stücks. Oronte (Thomas Schrimm), satt und überheblich, überwirft sich mit Alceste, nachdem dieser um ehrliches Urteil gebeten, ein Sonett Orontes verreißt und verklagt ihn. Celimene (Tina Eberhardt), eine kapriziöse Dame der Gesellschaft, schön, umschwärmt und von Alceste und Oronte begehrt, durchscheinend wie feines Porzellan und mit der Haltung einer Puppe, versteht alle gegeneinander auszuspielen, sich unangreifbar wähnend - bis sie das Strafgericht in Form einer vollständigen Abrechung ereilt. Sie büßt ihre Verehrer ein, allen voran Alceste, der sich für sie zum Idioten gemacht hat. Tina Eberhardt verkörpert das Übermaß an Koketterie und den tiefen Fall mustergültig. Eliante (Cornelia Schindler) ist das liebreizende, klare und ehrenhafte Gegenstück zu der Intrigantin, unglücklich verliebt in Alceste, den sie zu ihrem Glück nicht bekommt, sondern ihre ehrliche Entsprechung Philinte. Der Rolle angemessen ist ihre Darstellung dezent und charmant.
 
Steckel hat karikiert, noch ein wenig schärfer als Molière selbst. Der Inszenierung bekam das, denkt man an die beiden Marquis Acaste (Dirk Müller) und Clitandre (Eric van der Zwaag), schrill papageienhaft, und an die heuchlerische Arsinoé mit giftig schwarzem Mund, reizlos und begehrlich und mit sich überschlagender Stimme der Empörung. Franziska Becker erhielt für ihre Darstellung zu Recht Szenenapplaus. Gerhard Palder als Diener Du Bois in kleiner Rolle mit einem humoristischen Kabinettstückchen. Dünkel und Hoffart, Unehrlichkeit und Lüge, das Spiel mit Gefühlen fordern schließlich ihren Preis von allen, die das höchst moralische Stück dennoch witzig mit radikaler Entlarvung, Verlust und Enttäuschung straft.
Auch das Übermaß an scheinbarer Charakterstärke entpuppt sich als eklatanter Mangel. Alceste wird sein eigenes Opfer, dem nur noch bleibt, sich von der schnöden Welt zurückzuziehen. Ohne Schaden bleiben nur, die ohne falsche Ambitionen sind, und nur sie trifft der beißende Spott nicht.
 
Frank Becker, 27.2.1999