Gequälte Geschöpfe

„Mary Shelley“ von Haifaa Al-Mansour

von Renate Wagner

Mary Shelley
USA / 2017

Regie: Haifaa Al-Mansour
Mit: Elle Fanning, Douglas Booth, Tom Sturridge, Joanne Froggatt, Ben Hardy, Bel Powley u.a.
 
Die Dichterinnen bevölkern die Kinoleinwand. Als man das Schicksal von „Astrid“ (Lindgren) als Jugendliche erlebte, ging es um die sozialen Härten, denen eine ledige Mutter ausgesetzt war: Das Recht an ihrer „Pippi Langstrumpf“ hat ihr niemand streitig gemacht. Anders ging es Mary Shelley (1797-1851) und Colette (1873-1954): Obwohl diese beiden Autorinnen fast acht Jahrzehnte trennten, konnten beide ihre Werke nur im Namen ihrer Ehemänner veröffentlichen – als Frauen waren sie für Verleger ihrer Zeit untragbar. Frau sein und schreiben, Frau sein und sich als Schriftstellerin durchzusetzen, das waren bedeutende Mosaiksteine in der Geschichte er Emanzipation.
 
     Daß Mary Godwin (Elle Fanning) von Kindesbeinen an literatursüchtig war, verstand sich aus ihrer Herkunft: Ihr Vater (Stephen Dillane) war selbst Schriftsteller und betrieb einen Buchladen, ihre Mutter Mary Wollstonecraft war eine der berühmtesten Frauenrechtlerinnen ihrer Zeit gewesen (allerdings zehn Tage nach Geburt der Tochter gestorben). Mary lebte also als Teenager in einer liberaleren Welt als viele. Und wenn der 21jährige Percy Shelley (Douglas Booth) in ihrer Familie Gedichte rezitiert, treffen sich in ihm und der 16jährigen Mary zwei „Dichterseelen“, wobei sie auch zu unkonventionellen Aktionen bereit ist. Nicht nur ein Rendezvous am Friedhof, sie erwägt auch Shelleys Angebot, mit ihm davon zu laufen – obwohl er verheiratet ist. Er sieht nicht ein, warum eine Ehe gewaltsam gehalten werden soll, wenn die Zuneigung der Partner erloschen ist… Er sieht überhaupt nichts ein, was seinen Egoismus stört, wie Mary noch erfahren wird.
Der Stiefmutter (Joanne Froggatt) ist Marys Verhalten ein Dorn im Auge, worauf diese ihr entgegen schleudert: „Glaubst Du wirklich, ich kümmere mich um meine Ruf?“ Und läuft mit Shelley davon. Was, wie immer und überall und zu allen Zeiten, in ein finanzielles Problem mündet, da dessen Vater daraufhin nicht mehr bereit ist, den Sohn zu unterstützen. Ein Leben in Schulden und Geldsorgen folgt.
Nein, es ist nicht romantisch, aus Liebe davonzulaufen, noch dazu, wenn man schwanger ist wie Mary. Und es verwundert nicht, wie schnell die Liebe zu dem verantwortungslosen Shelley in einen spannungsgeladenen und keinesfalls mehr liebevollen Alltag übergeht. Später wird er behaupten, „I am not the architect of our misery“, aber tatsächlich ist er genau das.
Man schleppt sich durch den Alltag, bis der Film sich auf jene Situation zuspitzt, die Mary Shelley (sie haben später doch geheiratet) für die Nachwelt einzig interessant macht: Wie kommt eine junge Frau in einer Situation, die die Nachwelt immer als „romantisch“ betrachtet hat, dazu, eine der berühmtesten Horror-Geschichte der Weltliteratur zu schreiben und das Monster „Frankenstein“ zu erfinden?
 
     Dichter treffen sich 1816 am Genfer See, der selbstgefällige Lord Byron (Tom Sturridge) hat ein Verhältnis mit Marys Schwester Claire (Bel Powley), die von ihm schwanger ist, der er allerdings ins Gesicht sagt, daß er sich nicht binden wird, die Luft schwirrt vor Drogen und Esoterik… Die seltsame Welt am Genfer See, mit Spannungen zwischen allen Beteiligten geladen, wird in ihrer Seltsamkeit gezeigt. Als sie quasi in den literarischen Wettbewerb treten, eine Horrorgeschichte zu schreiben, erklärt Mary ihr Monster aus dem seelischen Chaos, das hier in allen wütet – vor allem in ihr. Sie ist eine Pionierin, sie begründet ein neues Genre, sie schreibt wie ein Mann. (Das diabolische Feuer, das Regisseur Ken Russell 1986 in „Gothic“ zur Entstehung von „Frankenstein“ entzündet hat, läßt diesen Film allerdings verhältnismäßig „brav“ aussehen.)
Ein Verleger kann sich nicht vorstellen, daß „the wife guide companion of Mr. Shelley“ tatsächlich die Autorin dieses Buches ist, er wagt zu bezweifeln, daß eine Frau fähig sei, das zu schreiben. Zumal eine 18jährige… Außerdem sei das ein absolut unpassendes Thema für eine junge Dame. Eine Absage folgt auf die andere. Schließlich will man es veröffentlichen, wenn Shelley das Vorwort schreibt – und dann wird natürlich jedermann annehmen, er sei der Autor und überlasse großzügig der Frau die Ehre.
     Sie ist wütend, weil Shelley selbst sie nicht anerkennt, die Beziehung wird immer schlechter, Marys Buchhändler Papa liest die Geschichte und seufzt tief, Lord Byron läßt wissen, daß er „Frankenstein“ verabscheut, und schließlich wird das Buch anonym veröffentlicht. Und Shelley gibt öffentlich zu, daß er keinen Anteil an dem Werk hat – nur daß er der Verursacher der Einsamkeit des Monsters sei.
     Viel Bitterkeit weht durch diesen Film, der zwar ein klassisches, in seiner Zeit spielendes Kostüm-Biopic ist, das Regisseurin Haifaa Al-Mansour aber in „dunklen“ Farben gehalten hat, optisch und in der Stimmung. Keine Jeunesse dorée, diese so begabten jungen Leute, die so berühmt werden sollten. Sondern gequälte Geschöpfe, wobei Elle Fanning als Mary die Aufgabe stupend bewältigt, ein junges Mädchen und zugleich ungeheuere Stärke, Entschlossenheit und Selbstbewußtsein glaubhaft zu machen.
 
 
Renate Wagner