Fruchtbar angeregt

neolith. Magazin für neue Literatur an der Bergischen Universität Wuppertal. Ausgabe 3: UNISEX.

von Martin Hagemeyer

Covergestaltung: Borys Mysakouych
Fruchtbar angeregt
 
Literaturmagazin „neolith“
entlockt den Beiträgern Vielfalt
zum Thema „UNISEX“

Neue Literatur an der Bergischen Universität“ gibt es jetzt frisch in dritter Ausgabe, sie ist aber keineswegs nur dort zu lesen: „neolith“, ein Magazin mit Texten Studierender, Lehrender, generell Schreibender rund um Wuppertals Uni. Um letztere kreisen durften auch die Beiträge zu Nummer 3, deren Vorgabe „UNISEX“ hieß – das konnte aufs Hochschull(i)eben abzielen. Andere Lesarten waren beim Eingereichten aber gleich gern gesehen, aus dem das Herausgeberteam nun den hübschen Band zusammenstellt hat. „Hübsch“ meint die Gestaltung im kompakten Format, zu der auch wieder die durchgängige grafische Begleitung zählt: Abstrahiert ist die Körperlichkeit in den fotografischen Arbeiten quer durchs Buch, in mancher der skizzenhaften ziemlich explizit.

Zum Spektrum der Texte sagt das Vorwort nur, im Kern jedes Beitrags stehe „der Mensch als Individuum“. Etwas konkreter, nämlich körperlich ist das Bindeglied natürlich aber doch, wie ein Gang durchs Buch schnell zeigt.

Ein anderes Verhältnis zum Geschlecht steht etwa im Mittelpunkt der Kurzgeschichte „Müssen wir...?“ von Samira Sevros. Ein sensibler und dabei dichter Text über Transsexualität. „Morgen kommt Kurt“ von Lisa Viktoria Niederberger enthüllt sehr komisch eine spezielle Liebesbeziehung, bei aller Rauhheit tief und vertraut: Ein Paar ergänzt sein reges Liebesleben mit dem luftdichten Versand ihrer Höschen. Einziger Skrupel: Eigentlich stellt „der Erwerb eines Vakuumiergeräts für mich etwas zutiefst Kleinbürgerliches und Erwachsenes dar.“ „Die Evan-Wette“ von Jonas Kissel vertauscht übliche Geschlechterrollen, als ein Junge die coole Mutprobe eines Mädchens nachzuahmen versucht und scheitert - dabei kein lahmes „Verkehrte Welt“-Gedankenspiel und so konsequent, ihn am Ende nicht durch einen Polizisten auffliegen zu lassen, sondern eine Polizistin.


© Borys Mysakouych

Keineswegs kommt „UNISEX“ zum Glück aber insgesamt als Thesenheft, nur
(gender-)politisch oder pädagogisch daher: Der Rahmen ist körperliche Liebe, enger wird er nicht. Aber ausgestaltete Prosa mag ja ganz grundsätzlich eher zum Konkreten neigen. Ungefähres geht bei Lyrik leichter, und auch davon bietet der Band genug: Rund ein Drittel der Beiträge sind bemerkenswerterweise Gedichte. „Auf meiner Sehnsucht“ von Sigune Schnabel entdeckt an einem Dia-Negativ eine geniale Metapher für Sehnsucht. Ungeahnt aufregend Harald Kappels „Fußpflege“, um dann freilich ernüchtert, abgeregt zu enden. Keine Spur auch von debattiertem Ein-, Mehr- oder Andersgeschlechtlich bei Ulrike Titelbach - aber drei kurze, drei schöne Liebesgedichte.


© Borys Mysakouych


Magazine oder Anthologien mit Themenvorgabe, wenn sie weit gefaßt ist, bieten doch oft einen fruchtbaren Boden für Fundgruben. Daß sich dabei Gutes findet, läßt sich hoffen, wenn die Auswahl klug ist. Und beides darf man von „neolith – UNISEX“ sagen und es unter den Weihnachtsbaum empfehlen, dann freilich als etwas mutige Dreingabe, sonst auch für die eigene Jackentasche. Wer schließlich außer dem Vergnügen kurzer literarischer Genüsse (wir sagen mal nicht Quickies) dann doch auch offen ist für Denkanregungen: Der denkt sich beim Lesen vielleicht irgendwann, was für eine doofe Gewohnheit es doch ist, beim Lesen fremder Texte auf das Geschlecht im Autorennamen zu schielen. Als ob das wichtig wäre.
 
neolith. Magazin für neue Literatur an der Bergischen Universität Wuppertal.
Ausgabe 3: UNISEX.
 
Erhältlich für 3,00 € an der Bergischen Uni (Uni-Kiosk, AStA-Shop), im lokalen Buchhandel (von Mackensen, Glücksbuchladen). Zudem per direkter Bestellung: https://neolithmagazin.wordpress.com/shop/.